Robben, Vögel und Roboter

Unglaub­lich, zu wel­chen Bewe­gun­gen ein mensch­li­cher Kör­per fähig ist. In "Len­to e Lar­go", das sei­ne Deutsch­land­pre­mie­re bei den  29. Pots­da­mer Tanz­ta­gen fei­er­te, lie­gen fünf Per­for­mer wie prus­ten­de Rob­ben an Land, stak­sen wie kichern­de Groß­vö­gel durch einen Urwald oder glei­ten ani­ma­lisch-ele­gant  durchs Wasserbecken.

Alle  sind nackt, sie tra­gen dun­kel­ro­te Hau­ben und klo­bi­ge gol­de­ne Hals­ket­ten und die Scham­ge­gend ist bei Frau­en und Män­nern mit schwar­zem Tape ver­klebt, was eine unge­heu­re Kon­zen­tra­ti­on auf den Kör­per an sich ermög­licht. Doch die­se, schein­bar dem Unter­be­wuss­ten ent­sprun­ge­nen hybri­den Wesen sind auf der Büh­ne nicht allein.

len­to e lar­go, foto: tia­go coelho

Zwei Mini­ro­bo­ter, beklei­det mit grü­nem Fell und Glit­zer­pan­zer und vier sir­ren­de Droh­nen gehö­ren eben­falls zu der unwirk­lich anmu­ten­den Menagerie.

Vor über ein­hun­dert Jah­ren unter­such­ten die Künst­ler des Bau­hau­ses die Aus­wir­kun­gen der fort­schrei­ten­den Tech­ni­sie­rung, jetzt erfor­schen der Por­tu­gie­se Jonas Lopes und der Bra­si­lia­ner Lan­der Patrick – bei­de Ende der 1980er Jah­re gebo­ren – eben­falls das Ver­hält­nis von Mensch und Maschi­ne im fort­schrei­ten­den digi­ta­len Zeitalter.

Verhältnis von Mensch/Maschine im digitalen Zeitalter

Und wie sie das in "Len­to e Lar­go" ("Lang­sam und breit") tun, ist vor allem aber nicht nur auf der kör­per­li­chen Ebe­ne groß­ar­tig und ori­gi­nell. Denn die fünf Tän­ze­rin­nen und Tän­zer – die bei­den jun­gen Cho­reo­gra­fen tan­zen selbst mit – erkun­den in ihrer Expe­di­ti­on ins Tier­reich gran­di­os die Bewe­gungs­mög­lich­kei­ten des mensch­li­chen Kör­pers – beson­ders in der Hori­zon­ta­len. Wie die kraft­vol­len Per­for­mer über den roten Büh­nen­bo­den schlän­geln, rob­ben oder krie­chen, hat man so expres­siv noch nicht gesehen.

Dann wie­der sind sie wie in der Anfangs­sze­ne – (Stammes-)Krieger, geben zu ritu­el­lem Trom­mel­wir­bel  tie­risch anmu­ten­de Lau­te von sich – es scheint,  als habe sich der Mensch in "Len­to e Lar­go" von sei­nem anthro­po­zen­tri­schen Welt­bild ver­ab­schie­det. Und sei – im Groß­teil der Auf­füh­rung des Spre­chens nicht mäch­tig – wie­der Teil des natür­li­chen Gan­zen gewor­den. Ja, die Auf­füh­rung mutet an Stel­len sogar an, als wol­le sie den Pro­zess der bio­lo­gi­schen Evo­lu­ti­on nach­fühl­bar machen.

Prozess der Evolution tänzerisch nachfühlbar machen

Den Geist, die Stim­mung, den Wil­len steu­ern in "Len­to e Lar­go" anschei­nend die pos­sier­li­chen Maschi­nen bei. So begrüßt nach dem ritu­el­len Anfangs­tanz der  put­zig her­um­wu­seln­de und  dabei mecha­nisch knir­schen­de Robo­ter das Publi­kum und lädt es ein, die Per­for­mance zu genie­ßen.  Spä­ter stellt er unzäh­li­ge Fra­gen, die nur mit Ja oder Nein von den Anwe­sen­den zu beant­wor­ten sind. Und die sir­ren­den Droh­nen krei­sen in der Dun­kel­heit über den am Boden Lie­gen­den und inten­si­vie­ren deren eksta­ti­sche Zuckungen.

Aber wer hat hier eigent­lich das Sagen? Die ver­zerr­te hohe Com­pu­ter-Baby­stim­me oder "Mut­ter Natur"? Klas­se an "Len­to e Lar­go" ist, dass es nicht dys­to­pisch wirkt. Ein­zi­ge Aus­nah­me, die schein­ba­re Empa­thie­lo­sig­keit der Per­for­mer beim Ster­ben eines von ihnen.

Keine Dystopie, sondern humorvolle Reise zum menschlichen Wesen

Doch auch hier täuscht man sich – der ein­set­zen­de cho­ri­sche Gesang hat viel mehr See­le als so man­che mensch­li­che Trau­er­fei­er. Über­haupt die Ton­spur! Auch sie ist ein Beleg dafür, wie viel­schich­tig syn­the­ti­sie­rend Lopes und Lan­der gear­bei­tet haben: Vom Requi­em Györ­gy Lige­tis über Bachs Toc­ca­ta und Fuge in D‑Moll bis hin zu "Worker's uni­on" von Lou­is Andries­sen wal­tet eine the­ma­ti­sche und sti­lis­ti­sche Viel­falt, wie sie nur natür­li­che Intel­li­genz – also Men­schen – her­vor­brin­gen können.

In die­sem Sin­ne ist das Stück eine wun­der­ba­re Uto­pie, die nicht vor­der­grün­dig einem "Zurück zur Natur" hul­digt, son­dern zu einer humor­vol­len und skur­ri­len Rei­se zu unse­rem unge­mein viel­schich­ti­gen Wesen ein­lädt, des­sen tech­ni­sche Intel­li­genz nur ein klei­ner Teil vom Gan­zen ist.

Astrid Priebs-Trö­ger

 

25. Mai 2019 von Textur-Buero
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