Ungeheuer magische Momente
Mit Masken und Schwertern bewaffnet stürzten sie, das wartende Publikum fröhlich beiseite schiebend, aus dem Saal der fabrik ins Freie. Um draußen lautstark ums hell lodernde Feuer zu tanzen. Mit einem sogenannten "english mumming play" beginnt die Jubiläumsinszenierung des Wandertheaters "Ton und Kirschen", das in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feiert.
Nach diesem rauen Volkstheaterspektakel ging es übergangslos nach drinnen und man tauchte dort in eine nostalgische Varieté- bzw. Zirkusatmosphäre ein. Zwei possierliche, livrierte Affen(-marionetten) vergnügten sich mit Rollerfahren und Seiltanz und beguckten sich interessiert das Publikum.
Ungeheuer kontrastreich geht es durch die Welttheaterliteratur, durch Liebe und Hass …
Und ein paar Augenblicke später fand man sich in einem menschenleeren Ballsaal oder kurz darauf in einer skurrilen Beckett´schen Drei-Frauen-Szene wieder. Kontrastreich und in Vaudeville-Manier geht es beinahe 90 Minuten lang durch die Welt(theater-)literatur, durch Liebe und Hass – von England, nach Russland bis nach Hindustan und Bali.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen ineinander und miteinander – und man muss sich einfach forttragen lassen von diesen unglaublichen Theatermenschen und ‑szenen.
Für die es eigentlich nicht die richtigen (analysierenden) Worte, sondern nur dieses besondere "Ton-und-Kirschen"-Gefühl gibt. "In the blink of an eye" schließt dabei fast nahtlos an die Shakespeare-Inszenierung von vor zwei Jahren an, wo die vielsprachige Truppe um Margarete Biereye und David Johnston Shakespeares Sonette und mit ihnen die Liebe und die Vergänglichkeit feierte.
Das besondere Ton-und-Kirschen-Gefühl (auch) in der Jubiläumsinzsenierung
Auch jetzt schwingt vor allem die Liebe das Zepter und die zum Theater wird mit allen zur Verfügung stehenden künstlerischen Mitteln überwältigend zelebriert. Besonders berührend, eindringlich und nachwirkend in der Szene, in der Marionettenspielerin Daisy Watkiss ein zartes Mädchen über die Bühne und durch sein – momentan tieftrauriges – Leben laufen lässt.
Welche Präsenz und welche Liebe zum Detail die Puppenspielerin nicht nur an dieser Stelle zeigt, verschlägt einem fast den Atem. Sie selbst ist so ein wunderbarer Ruhepunkt in dieser an Individualisten reichen Truppe. Die jedoch immer dem Einzelnen als auch der Gemeinschaft Raum gibt, wie das herrlich im Schlussbild passiert – alle mit ihrem ureigenen Instrument zu einem Orchester vereint.
Ungeheure Präsenz und wunderbare Liebe zum Detail
Doch bevor dies entsteht, lässt man sich forttragen von der schenkelklopfenden Situationskomik im Tschechowschen Einakter "Der Bär" und von der starken, über den Tod siegenden Liebe von Pyramus und Thisbe in Ovids "Metamorphosen".
Großartig auch die Verwandlungen, die die Schauspieler*innen, allen voran Margarete Biereye, immer wieder vollziehen. Im Balinesischen Maskentanz, mit dem die Ovidsche Geschichte dargestellt wird, verkörpert die inzwischen 72-jährige die junge Frau. Leichtfüßig wie eine 20-Jährige und gleichzeitig mit den reichen Erfahrungen gelebten Lebens. Man hat den Eindruck, dass die Zeit diesem/ihrem Spiel überhaupt nichts anhaben kann. Einfach magisch!
Astrid Priebs-Tröger