Willkommen im Halbdunkel
Während zur Festivaleröffnung gleich das ganze "Haus Europa" symbolisch errichtet und bald darauf wieder zerstört wurde, konnte man am 2. Unidram-Abend in einer gemütlich eingerichteten Frauen-Wohnung zu Gast sein.
Das deutsche Kollektiv mysharedspace war genauso wie die beiden anderen jungen Künstler:innen aus Italien und Belgien zum ersten Mal bei Unidram vertreten. Die internationalen Gäste zeigten mit der Choreografie "Zoé" und dem Objektzirkus "Alles/Nichts" auch die ersten zwei Deutschlandpremieren des Festivals.
Und: es gab etwas, was die drei inhaltlich, stilistisch und formal sehr unterschiedlichen Inszenierungen augenscheinlich miteinander verband: nämlich ihr überwiegendes Spiel im Halbdunkel.
"Mysharedspace" ist eine immersive Installation mit Elementen aus dem Figuren- und Objekttheater. Man betritt einzeln für eine halbe Stunde lang ein fremdes Zuhause, dessen Bewohnerin nicht anwesend ist.
Das (Frauen-)Kollektiv um die Regisseurin Christina Schellhaas und Bühnen- und Kostümbildnerin Larissa Jenne hat indes in diversen Möbelstücken skurrile hölzerne Puppen platziert, die mit dem jeweiligen Besucher in einen Dialog treten. "Du riechst gut" wispert eine Stimme sofort neben der Wohnungs-eingangstür.
Die Gespräche, die man mit den unsichtbaren oder den plötzlich aus dem Küchenschrank auftauchenden Figuren im Halbdunkel führt, kreisen um die Themen körperliche Berührungen und Sexualität und man kann dabei selbst entscheiden, in welchem Grade man sich darauf einlässt.
Ob man sich beispielsweise in die fremde Badewanne oder ins breite Doppelbett legt, auf dem ein riesiger weißer Krake seine zahlreichen Arme nach einem ausstreckt oder den Kühlschrank öffnet, in dem u. a. eine beachtliche Sexspielzeugsammlung platziert ist.
Die Idee zu "Mysharedspace" entstand durch Erfahrungen mit Online-Dating-Plattformen und Couchsurfing und es ist, als ob man dabei selbst Teil eines fremden Universums bzw. eines sehr lebendigen Organismus wird.
Ein ähnliches Gefühl erzeugt auch die Tanzperformance "Zoé" der italienischen Tänzerin und Choreografin Luna Cenere, die im Zwielicht der fabrik zu erleben war. Hier liegen am Anfang fünf nackte Tänzer:innen rücklings am vorderen Bühnenrand. Ihre regungslosen Leiber fügen sich in einer Reihe Kopf an Fuß, mit ihren jeweils aufgestellten Beinen nahezu untrennbar aneinander.
Bereits hier wirken sie nicht wie menschliche Individuen, sondern wie die Einzelteile eines viel größeren organischen Ganzen.
Der intensiven, surreal anmutenden Performance, in der sich die Tänzer:innenleiber in skurrile Pflanzen oder auch Tierkörper verwandeln, gelingt es eindringlich, die Individuen – auch mittels Halbdunkel – nahezu verschwinden zu lassen. Die Rückenakte erinnern dabei an die Körperplastiken der südkoreanischen Choreografin Howool Baek.
Berückend und bedrückend zugleich für jemanden mit unguten Kollektiverfahrungen war indes die finale Körperplastik, in der in vollkommener Resonanz wie bei einer gut geölten Maschine ein Körperteil ins andere griff.
In eine gänzlich andere Szenerie tauchte man in der Waschhausarena ein, die am Tag vorher noch vom gigantischen Haus Europa in Beschlag genommen war. Jetzt saß hier ein einsamer Magier an seinem ovalen Pult und vor einem halbrunden Auditorium im Zwielicht und ließ in "Alles/Nichts" zahllose Wollfäden, Metall- und Perlenketten durch seine Hände gleiten oder in diverse Gefäße rinnen.
Alexis Rouvre von der belgischen Compagnie Modo Grosso war hier in (s)einem ganz besonderen (Parallel-)Universen zwischen Poesie und Physik, Zeit- und Schicksalsfäden zuhause. Und es hatte einen sehr eigenen, beinahe märchenhaften Zauber, diesem ambitionierten Objekttheaterspieler dabei über die Schulter zu blicken.
Astrid Priebs-Tröger