Anmutig verschwinden

Lust ist ein Wort, das Ben­ja­min Ver­don­ck gern in den Mund nimmt. Auf die Fra­ge, war­um der Schau­spie­ler, Regis­seur, Autor und Bil­den­de Künst­ler aus Ant­wer­pen sein Pro­jekt "NOTALLWHOWANDERARELOST" begon­nen hat, sag­te er, dass ihn die Lust am Mate­ri­al Holz, an Hand­ar­beit und natür­lich am Thea­ter dazu ange­trie­ben hat. Aber "ange­trie­ben" ist ein viel zu leis­tungs­ori­en­tier­tes Wort für das, was als Deutsch­land­pre­mie­re im T‑Werk zu sehen war.

Ein raum­grei­fen­des höl­zer­nes Gestell, auf den ers­ten Blick einem alten Hand­web­stuhl ähnelnd, nahm fast die gesam­te Büh­ne ein. Auf der hori­zon­ta­len Ebe­ne waren hin­ter­ein­an­der meh­re­re "Schie­nen" befes­tigt, auf denen sich wäh­rend der Per­for­mance eine Viel­zahl ver­schie­den gro­ßer recht­wink­li­ger Drei­ecke bewe­gen lie­ßen. Das tat  Ver­don­ck mit­hil­fe lan­ger Fäden an bei­den Sei­ten sei­nes Thea­ters selbst.

Doch es wäre pro­fan, die­se schwe­ben­de Atmo­sphä­re, die sich bei die­sem, sei­nem Tanz mit den/um die Objekte/n ergab, hier mit dür­ren Wor­ten zu beschrei­ben. Fakt ist, dass die Drei­ecke, die auf­ein­an­der tra­fen, anein­an­der vor­bei­zo­gen, einen uner­war­te­ten Schlen­ker mach­ten oder sogar ihre Far­be wech­sel­ten, fast ohne Wor­te eine poe­ti­sche Situa­ti­on kre­ierten, die einen unwei­ger­lich in ihren Bann zog. Es war der spie­len­de Mensch – Homo Ludens genannt – der einen dabei so nach­hal­tig begeisterte.

Denn Ben­ja­min Ver­don­ck, der zu die­sem Pro­jekt von Alex­an­der Cal­ders "Cir­cus" ange­regt wur­de, erweckt den Ein­druck, dass er alles, was er wäh­rend die­ser 45 Minu­ten macht, genau in die­sem Moment zum ers­ten Mal tut. Er ist so sehr bei sich, dass man als Zuschau­er eben­falls in die­sen Zustand gerät. Und das ist ein gro­ßes Geschenk in unse­rer schnell­le­bi­gen, ober­fläch­li­chen und zer­stö­re­ri­schen Welt. Ver­don­ck ver­führt einen dazu mit gro­ßer Leich­tig­keit, lei­sem Witz und kör­per­li­cher Anmut!

"NOTALLWHOWANDERARELOST" ist Teil eines grö­ße­ren Pro­jek­tes, in des­sen Zen­trum die Aus­ein­an­der­set­zung mit öko­lo­gi­schen, sozia­len und poli­ti­schen Pro­ble­men unse­rer Zeit steht. Mit dem Ziel, Kunst und Rea­li­tät zu gestal­ten, anstatt sie bloß zu reflektieren.

Aus­gangs­punkt für gera­de die­ses Stück war eine Unter­hal­tung mit dem Phi­lo­so­phen Sacha Kagan über Kunst und Nach­hal­tig­keit. Der auf die Fra­ge, was man denn zur Nach­hal­tig­keit bei­tra­gen könn­te, "sich anmu­tig und takt­voll zurück­zie­hen", vor­schlug.

Genau dies gestal­tet Ben­ja­min Ver­don­ck. Gleich zu Beginn von "NOTALLWHOWANDERARELOST" kre­ierte er noch eine auf­wän­di­ge Balan­cenum­mer. Man sieht, wie­viel Mühe es macht, einen Stuhl auf zwei Cola­do­sen mit­hil­fe eines Balls und einer Kle­ber­fla­sche so zu sta­bi­li­sie­ren, dass er auf zwei Bei­nen ste­hen kann. Das ist Leis­tung, die­se heischt gera­de­zu nach Aner­ken­nung. Doch als er die­se Krea­ti­on ziem­lich bru­tal wie­der in der Ver­sen­kung ver­schwin­den lässt und sich selbst damit auch als zen­tra­le Figur eli­mi­niert, ent­steht Absichts­lo­sig­keit und somit Freiheit.

Oder wie es Fried­rich Schil­ler schon 1793 for­mu­lier­te: "Der Mensch spielt nur, wo er in vol­ler Bedeu­tung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."

Und so schaut man auf die­se wun­der­ba­ren Ver­don­ck­schen Drei­ecke, und könn­te noch ewig wei­ter­schau­en, ohne das alles ver­ste­hen oder (be-)werten zu müssen.

Astrid Priebs-Trö­ger

30. Mai 2015 von Textur-Buero
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