Belohnung und Strafe

2021 war ein Uni­dram-Jahr­gang, in dem viel gear­bei­tet wur­de. Ganz am Anfang stand "Work" von Clau­dio Stel­la­to und am Ende "This work about the oran­ge" von Cie les 3 plum. Und die an allen Tagen in Dau­er­schlei­fe lau­fen­de Film­in­stal­la­ti­on "Kunst­pau­se" von KOMBINAT beschäf­tig­te sich mit der Abwe­sen­heit derselben.

"This work about the oran­ge" hat­te star­ke Anklän­ge an das inter­ak­ti­ve Hör­stück "Rausch und Zorn", des deut­schen Künst­ler­kol­lek­tivs LIGNA, mit dem man sich bei Uni­dram 2019 selbst zu den Wur­zeln des ita­lie­ni­schen Faschis­mus begab.

Cie Les 3 Plu­mes, "This-work-about-the-oran­ge", Foto: Clau­dio Di Paolo

Die "Arbeit über die Oran­gen" hat­te dage­gen eine viel simp­le­re Ver­suchs­an­ord­nung. Im Gewand einer TV-Spiel- und Gewinn­show mit (absur­den) tän­ze­ri­schen Ein­la­gen sowie Inter­ven­ti­ons­mög­lich­kei­ten für das Publi­kum wur­de die­ses aktiv ein­be­zo­gen in das Bühnengeschehen.

Der Gebrauch "poli­tisch kor­rek­ter Spra­che" und einer Unmen­ge an "Hygie­ne­re­geln" sug­ge­rier­te nicht nur am Beginn, dass hier alles mit rech­ten Din­gen zugeht, sprich: nie­mand gede­mü­tigt oder genö­tigt wird zu etwas, was er/sie nicht tun will. Mit Geld­sum­men zwi­schen 5 und zwan­zig Euro wur­den Beloh­nun­gen ver­teilt und – wie bei der Rei­ni­gungs­trup­pe – auch wie­der entzogen.

Doch als das Gan­ze Fahrt auf­nahm und jun­ge Men­schen aus dem Publi­kum bereit waren, sich auf der Büh­ne (fast) voll­stän­dig zu ent­klei­den, mit Milch über­gie­ßen und dabei foto­gra­fie­ren zu las­sen, hör­te der "Spaß" eigent­lich auf. Eigentlich.

Cie Les 3 Plu­mes, "This-work-about-the-oran­ge", Foto: Cris­ti­na Valla

"This work about the oran­ge" spiel­te sehr cle­ver mit mensch­li­chen Grund­be­dürf­nis­sen wie der Sehn­sucht nach Aner­ken­nung bzw. Zuge­hö­rig­keit, beför­der­te Gier und Anpas­sung und setz­te beim gesam­ten Ver­suchs­auf­bau sub­til auf "Zucker­brot und Peit­sche" und die psy­cho­lo­gi­schen Mecha­nis­men von Gruppendynamik.

Neil Post­man hat bereits 1985 in "Wir amü­sie­ren uns zu Tode" ana­ly­siert, wie die kapi­ta­lis­ti­sche Unter­hal­tungs­in­dus­trie unse­re Urteils­bil­dung beein­flusst bzw. zer­stört. "This work about the oran­ge" lie­fer­te ein­mal mehr den Beweis für sei­ne The­sen, zeig­te aber auch, dass immer – vor allem im Cha­os – die Mög­lich­keit zur akti­ven Ver­än­de­rung der Spiel­re­geln des jewei­li­gen Sys­tems besteht.

Vor die­ser ein­dring­li­chen Schluss­se­quenz war auch das Sonn­tag­abend­pro­gramm zum letz­ten Mal prall gefüllt. Zwei sehr unter­schied­li­che Pro­duk­tio­nen aus Ungarn und Spa­ni­en luden ins Wasch­haus und in die fabrik ein.

Andrea Cruz Com­pa­ny, "Las-Her­ma­nas-Ver­án", Foto: Vice­nç Gomila

Der unga­ri­sche Tän­zer Ferenc Fehér erin­ner­te mit sei­ner expres­si­ven, sowohl kraft­vol­len als auch ver­letz­li­chen, Akt­dar­bie­tung an den 1918 an der Spa­ni­schen Grip­pe ver­stor­be­nen öster­rei­chi­schen Maler Egon Schie­le, der als jun­ger Mann stark von den Stahl­ge­wit­tern des 1. Welt­krie­ges beein­flusst wurde.

Andrea Cruz und Naroa Gal­dós aus Spa­ni­en ent­führ­ten die Besucher:innen in der fabrik hin­ge­gen in die nächt­li­chen (Alb-) Träu­me zwei­er Schwes­tern. Wäh­rend die Älte­re dar­in mit einem mäch­ti­gen Hirsch­ge­weih auf dem Kopf kraft­voll wie eine Jagd-Göt­tin tanz­te, fühl­te sich die Jün­ge­re ero­tisch zu einem männ­li­chen Jung­tier hingezogen.

Wen oder was die Schwes­tern in "Las Her­ma­nas ver­án" sehen, wird sich in die­sem sehr hyp­no­tisch wir­ken­den, auf star­ke visu­el­le Effek­te set­zen­den Tanz­thea­ter für jede:n wohl ein wenig anders angefühlt/dargestellt haben. In Erin­ne­rung blei­ben jeden­falls dunk­le und prä­gnan­te Bil­der der Ur-Ver­bin­dung zwi­schen Mensch und Tier.

Mit rund 2.000 Besucher:innen an sechs Fes­ti­val­ta­gen konn­te sich Uni­dram selbst in Pan­de­mie­zei­ten – und nach einem Jahr Unter­bre­chung – über­zeu­gend kraft­voll behaup­ten. Wun­der­bar, dass es mög­lich war, wie­der span­nen­des, kon­tro­ver­ses, expe­ri­men­tel­les euro­päi­sches Thea­ter in gro­ßer For­men­viel­falt in Pots­dam zu erle­ben und dass sich die Festivalmacher:innen auch unter den gegen­wär­tig herr­schen­den Hygie­ne­re­geln ent­schlos­sen haben, wei­ter­hin allen Inter­es­sier­ten den Zutritt dazu zu ermöglichen.

Astrid Priebs-Trö­ger

 

 

 

06. September 2021 von Textur-Buero
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