Wenn der Funke überspringt
Zahlreiche Gläser mit verschiedenen Farben und Flaschen mit gefärbtem Wasser stehen am vorderen Bühnenrand. Neben unterschiedlich breiten Pinseln befindet sich dort auch eine Glasschale mit Hühnereiern, von denen die Berliner Malerin Franziska Loewe einige sorgfältig in ihre Bestandteile trennt. Vis á vis dehnt, lockert und streckt sich die Potsdamer Tänzerin Laura Heinecke ausgiebig, kurz bevor ihre gemeinsame Performance "Allegoría – Moment in Farbe und Haut" beginnt.
Intensiver gemeinsamer schöpferischer Prozess
Als erstes stellen die beiden Künstlerinnen einen hohen Metallständer, der mit einer Plexiglasscheibe bestückt ist, gemeinsam auf den gänzlich mit Packpapier beklebten Bühnenboden. Von beiden Seiten spiegeln sie sich darin, doch jede sichtbar mit ihrer eigenen Intention. Während die Tänzerin sich groß macht, tut ihr Gegenüber das Gegenteil. Wenig später posiert Laura Heinecke vor der transparenten Projektionsfläche und die Malerin beginnt mit farbigen Permanentstiften blitzschnell ihre Umrisse zu scribbeln. Wenig später kehrt sich dies um, die Tänzerin schlüpft in die rasch hingeworfenen Figuren.
Nicht erst hier beginnt mit leichter Hand der gemeinsame schöpferische Prozess, der eine intensive Stunde lang andauern wird und sich in verschiedenen Tanzsequenzen und einem ca. 2 mal 5 Meter großen Bild niederschlagen wird. Doch es bleibt in "Allegoría" nicht nur beim Dialog von Tanz und Malerei, sondern eine dritte Frau, die Sängerin und Komponistin Joanna Waluszko ist von Anfang an mit Minimalmusic – einer Collage aus Probengeräuschen – und am Ende auch mit ihrer eigenen Stimme am Trialog beteiligt.
Echtzeit-Trialog zwischen Tanz, Malerei und Live-Musik
So entsteht eine bewegende Performance aus darstellender und bildender Kunst, die als Liveact das Publikum in Echtzeit an einem mehrdimensionalen Kreationsprozess teilhaben lässt. Anfangs ist augenscheinlich die Tänzerin die treibende Kraft. Sie setzt immer wieder kraftvoll-abrupte Posen in den Bühnenraum, während die Malerin vor allem die Energie ihrer Bewegungen aufnimmt und wenig später das erste Mal allein vor die riesige weiße Papierwand im Hintergrund tritt, und, von der Energie der Tänzerin beeinflusst, ihre ersten raumgreifenden Linien darauf wirft. Synästhetisch, In Blautönen, mit wässriger Acrylfarbe. Und mit raumgreifenden Bewegungen, die selbst an modernen Tanz erinnern.
Die erste künstlerische Begegnung zwischen Franziska Loewe und Laura Heinecke fand vor sieben Jahren statt. Beide konnten in einem neuen, völlig leeren Café in den Dialog treten und während die Malerin die großformatigen Wände gestaltete, entwickelte die Tänzerin eine Tanz-Performance zum Thema der Bilder. In "AllegorÌa" gehen sie einen Schritt weiter. Beide sind am jeweiligen kreativen Prozess der anderen unmittelbar beteiligt und beeinflussen sich gegenseitig.
Starker energetischer wechselseitiger Einfluss
Das wird besonders gut sichtbar, als die Malerin ihre weiße Riesenwand bereits mit einer Vielzahl von blauen, schwarzen, weinroten, braunen abstrakten Figuren und Linien gefüllt hat. Sie tritt von ihrem Werk zurück und man spürt, dass hier noch Freiräume bzw. Leerstellen vorhanden sind. Doch anstatt sich der Gestaltung dieser zu widmen, wird der inzwischen nackte Körper der Tänzerin zu einer weiteren Projektionsfläche. Mit breitem, energischem Pinselstrich verteilt Franziska Loewe darauf eine grüngraue Paste, schwarze fluide Linien folgen.
Das geschieht im flüchtigen Impuls, denn die Tänzerin hält nicht still wie die Leinwand, sondern verfolgt gleichzeitig ihren eigenen Bewegungsprozess. In dem sie schließlich vor dem "unfertigen" abstrakten Gemälde landet und mit traumwandlerischer Sicherheit die "Leerstellen" darauf mit ihrem Körper und ihrer Energie auflädt. Dies gibt wiederum der Malerin einen erneuerten Impuls. Sie greift jetzt zu helleren Blau- und knalligen Rottönen und vollendet wie im Rausch ihr Werk.
Fokussierte Performance, die vorbildhaft in andere Bereiche wirken kann
Man fühlt sich bei diesem Vorgang an Heinrich von Kleists Aufsatz "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" erinnert. Denn obwohl beide Künstlerinnen eine unterschiedliche Sprache sprechen, ermöglicht ihnen ihre energetische bzw. synästhetische Kommunikation, letztlich ihre unterschiedliche Kunstform trotzdem in einen gemeinsamen Flow zu kommen. Sie sind darin nicht Konkurrentinnen, sondern schätzen den jeweiligen Impuls der anderen. Insofern schafft ihre achtsame und fokussierte Performance einen utopischen Raum, der vorbildhaft auch in andere gesellschaftliche Bereiche wirken könnte.
Ganz am Ende stehen beide Frauen ungemein präsent und kraftvoll nebeneinander in einem beleuchteten Fenster, das aus dem gerade entstandenen Bild geschnitten wurde. Und die wunderbar innige Stimme Joanna Waluszkos kündet von autonomer Weiblichkeit und starker Schwesternschaft.
Astrid Priebs-Tröger