Betörend bittersüß

Was für ein Auf­takt! Die bei­den Her­ren vom St. Peters­bur­ger Künst­ler­kol­lek­tiv "Akhe" neh­men in ihrer unglaub­lich magi­schen Insze­nie­rung "Mr. Car­men" eine der ver­zwick­tes­ten mensch­li­chen See­len­zu­stän­de – die Lei­den­schaft – aufs Korn.

Flam­mend rot sprüht Pavel Sem­chen­ko beid­hän­dig "Car­men" auf eine dunk­le Folie und damit ist gleich zu Beginn eigent­lich alles gesagt. In die­ser non­ver­ba­len, kaum ein­stün­di­gen Insze­nie­rung, die schon vor 15 Jah­ren ent­stand und nichts von ihrer betö­ren­den Fas­zi­na­ti­on ein­ge­büßt hat.

Originelle Adaption des Carmen-Mythos

Die über­aus ori­gi­nel­le Adap­ti­on des Car­men-Mythos setzt da ein, wo die berühm­te lite­ra­ri­sche Vor­la­ge auf­hört: Dort unter­schreibt José sei­nen letz­ten Brief mit "Car­men". In der Akhe-Insze­nie­rung taucht die heiß­blü­ti­ge Femme Fata­le fak­tisch nur als klei­ne Pup­pe – gleich­för­mig an einem lan­gen Faden um die "Are­na" gezo­gen – auf.

Akhe, Mr. Car­men, Foto: Ari­na Nagimova

Der eigent­li­che Kampf fin­det zwischen/in den bei­den männ­li­chen Prot­ago­nis­ten, die wech­sel­wei­se und in vie­len ver­schie­de­nen Ver­sio­nen "Car­men" bzw. "José" mit Far­be, Schlag­sah­ne, Salz auf den Boden, auf Pro­jek­ti­ons­flä­chen malen oder gar mit Rot­wein in die Luft sprü­hen, statt.

Liebesleidenschaft: Selbstironisch seziert

Die wahr­schein­lich lei­den­schaft­lichs­te Geschich­te der Welt­li­te­ra­tur wird nicht ein­fach nach­ge­stellt, son­dern (selbst-)ironisch seziert. Und ver­sucht im stän­dig ver­rauch­ten Halb­dun­kel zu erspü­ren, wel­che Energie/ Inten­si­tät Lie­bes-Lei­den­schaft aus­macht. Die­ser, sich in emo­tio­na­lem, vom Ver­stand nur schwer zu steu­ern­dem Ver­hal­ten, äußern­de Gemüts­zu­stand, aus dem her­aus ein/e andere/r über alles begehrt wird.

Akhe, Mr. Car­men, Foto: Ari­na Nagimova

Sem­chen­ko und Isaev benut­zen dafür ein gan­zes Arse­nal an bekann­ten Sym­bo­len und Zei­chen: Rote Her­zen und Rosen, blit­zen­de Mes­ser und bau­meln­de Gerip­pe an höl­zer­nen Gal­gen, wenig Licht und viel Schat­ten. Und doch ist es, als ent­wi­ckel­ten die­se unter ihren Hän­den eine ganz neue, ande­re Inten­si­tät. Und da ist auch die olfak­to­ri­sche Sinn­lich­keit der Show: Düf­te bit­ter und süß fül­len den Zuschau­er­raum und fan­gen so die Essenz von Bizets Hand­lung – gera­de­zu atem­be­rau­bend – auf.

Atemberaubend: Olfaktorische Sinnlichkeit

Schwarz, weiß und rot sind die (Haupt-)Farben die­ses Thea­ters. Eine kon­ge­ni­al ein­dring­li­che Ton­spur schafft das ener­ge­ti­sche Level, das einen in die­ses gleich­zei­tig spar­sa­me und opu­len­te, für Akhe unge­wöhn­lich fili­gra­ne Bil­der­thea­ter, im Halb­dun­kel hineinzieht.

So sehr, dass man kaum mit­kriegt, wie die bei­den "ver­rück­ten" Duel­lan­ten flie­ßend ihre "Rol­len" tau­schen und in wes­sen Herz das Mes­ser am Ende eigent­lich eindringt.

Akhe, Mr. Car­men, Foto: Wla­di­mi­ra Telegina

Die kom­plet­te thea­tra­le Ver­zau­be­rung löst sich erst –  als wirk­lich schmerz­lich und gegen jede "Ver­nunft" – die immer noch gleich­mü­tig krei­sen­den Car­men und José-Figu­ren vom "Schick­sals­fa­den" geschnit­ten wer­den, und, als sie auf­ein­an­der tref­fen, ohne jede Regung anein­an­der vorbeigleiten.

Komplette theatrale Verzauberung

Dar­auf end­lich einen Rot­wein, einen Toast auf 25 Jah­re UNIDRAM und wirk­lich von Her­zen kom­men­de rote Rosen! Ach ja, und als min­des­tens genau­so "cra­zy" wie die Lie­bes­lei­den­schaft in "Mr. Car­men" ist bei den bei­den rus­si­schen See­le­n­in­ge­nieu­ren ihre vir­tuo­se Lei­den­schaft fürs Thea­ter anzusehen.

Astrid Priebs-Trö­ger

31. Oktober 2018 von admin
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