Das Ende tanzen
Wir leben gerade wieder in sehr unsicheren Zeiten. Im Angesicht der Corona-Pandemie hat die norwegische Choreografin Mia Habib 2020 ein Stück kreiert, das jetzt noch größere Aktualität erlangt hat als zwei Jahre zuvor.
"How to die – inopiné"/Wie man stirbt – unangekündigt ist es überschrieben und es erlebte jetzt im Rahmen des Tanzherbstes seine Deutschlandpremiere in der fabrik Potsdam.
In der Mitte der Bühne ist aus Brettern, Paletten, Stoff‑, Metall- und Plastikteilen etwas, das wie ein moderner Abenteuerspielplatz anmutet, aufgebaut. Ein luftig-buntes Gebilde, das sofort die eigene Fantasie anregt und auch die sechs Performer:innen immer noch weiter Hand anlegen lässt, um es zu vollenden.
Mit Seilen binden sie da noch etwas fest, stecken lose Äste in Lücken oder hängen dort noch Stofffetzen auf. Man könnte diesem absichtslos erscheinenden Spiel noch ewig zusehen. Und bemerkt irgendwann, dass sie gerade dabei sind, ihr Bauwerk fein säuberlich auseinander zu nehmen. Auch die einförmige Tonspur wechselt zu Minimalmusik, die Töne klopfen, schleifen und pulsieren und erzeugen eine immer bedrohlichere Stimmung.
Wann hat das angefangen? Dass das luftige Bauwerk zerlegt wird, dass seine Bestandteile immer schneller am Boden liegen, wie später die jetzt noch wie in Ekstase tanzenden und zuckenden Performer:innen auch? Eine halbe Ewigkeit dauert dieser Höllentanz, man möchte irgendwann Augen und Ohren verschließen, nicht nur wegen der immer stärker dröhnenden Musik und des flackernden Stroboskoplichtes, sondern, weil im Angesicht der multipolaren Krisen das eigene Nervenkostüm nicht mehr besonders widerstandsfähig ist. Ich will am Ende dieses getanzten Infernos eigentlich nur noch ausatmen, ich kann dieses "Ende" körperlich spüren.
Irgendwann kehrt Stille ein. "Vielleicht endet es in Schweigen", schreibt Mia Habib auf dem Programmzettel. "Eine Stille jenseits der Stille. Die Stille, die man spürt, wenn man nachts so weit in den Bergen ist, dass man nur noch seinen Herzschlag hört." In "How to die – inopiné" geht es dennoch weiter nach der Stille.
Langsam stehen zwei Frauen auf, beginnen neue improvisierte Bauwerke zu errichten – sind es Schiffe oder Häuser? Man weiß es nicht, auf jeden Fall sind es mehrere, manchmal arbeiten die Performer:innen zusammen. Aber die Leichtigkeit und Unbefangenheit des Anfangs ist dahin.
Stattdessen bleiben die Performer:innen öfter selbst am Boden haften, verharren in seltsamen Positionen, wie halben Kopfständen und raffen sich oft nur mühsam auf, weiter zu machen. Wirklich haltbar scheinen die neuen Bauwerke auch nicht zu sein, hochragende Masten (respektive Ideen) brechen in sich zusammen.
Am Ende der fast zweistündigen Performance geschieht etwas sehr Berührendes. Holzlatten oder Zweige werden mit den außen im Viereck sitzenden Zuschauer:innen verbunden, indem die Performer:innen diese in die Hände der Sitzenden legen und an ihrem Ende darauf blasen. Eine sanfte, aber stetige Vibration ist dabei zu spüren.
In Resonanz gehen konnte man auch an den draußen brennenden Feuern, wo Geschichten, die uns als Menschen miteinander verbinden, erzählt wurden. Mir beispielsweise die der Geburt ihrer Tochter, die die Performerin Nina Wollny erzählte. Vielleicht ist es doch noch zu früh, um von dieser Welt zu gehen, denn solange sich Menschen Geschichten erzählen, besteht (noch) Hoffnung.
Insofern ist "How to die – inopiné" eine überaus bildstarke Dystopie, in der jedoch auch ein Funken Utopie aufleuchtet. Diese eindringliche Tanzaufführung ist in Norwegen für den Hedda-Preis nominiert.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, [Hilfsprogramm DIS-TANZEN/ tanz:digital/ DIS-TANZ-START] des Dachverband Tanz Deutschland."