Das Netz, in dem wir hängen
"Hoffnung macht, dass die Welt sich dreht" oder "Die Hoffnung stirbt zuletzt" – schon diese beiden Zitate zeigen, wie tief der Begriff Hoffnung in der menschlichen Gesellschaft verankert ist. Sie ist auch eine der drei christlichen Tugenden und besitzt im Deutschen einen positiven Sinn.
HOPE/LESS heißt das Stück der Münchener Choreografin Anna Konjetzky, die damit in der Potsdamer fabrik zu Gast war.
Im Zentrum der Bühne und der Choreografie steht ein Metallgerüst, das auf vier Säulen gestützt ist. Zwischen ihnen ist in über zwei Meter Höhe ein elastisches Netz aus schwarzen Gurten mit großen Zwischenräumen gespannt.
Nach und nach klettern die vier Tänzer:innen in dieses Netz und bewegen sich wie in Zeitlupe darin. Es ist ihnen unmöglich, darin aufrecht zu stehen und sie müssen aufpassen, nicht zwischen den groben Maschen hindurch zu rutschen. Ein treffenderes Bild für unser Netz des gesellschaftlichen Zusammenhalts lässt sich kaum finden.
Mann bzw. Frau braucht viel Geschicklichkeit und Kraft, auf/in diesem schwankenden Gebilde zu bleiben und alle arbeiten daran, nicht herauszufallen. Auf den Gedanken, sich einfach hinein zu legen und ganz still zu sein, kommt keine:r von ihnen. Auch das ist eine passende Metapher für den Zustand unserer westlichen Gesellschaften.
Denn die, die (noch) da oben sind, befinden sich im Zustand der Hoffnung. Das bedeutet, dass man etwas in der Zukunft erwartet, ohne zu wissen, ob es eintritt. Und auch für die, die "unten sind" ist Hoffnung eine starke menschliche Triebfeder. Sie hebt uns aus dem Tierreich heraus. Denn Tiere hoffen nicht, sie sind einfach nur. Jeden Augenblick ihres Lebens.
Es kommt, was kommen muss. In HOPE/LESS fällt eine:r nach dem anderen aus dem Netz, das keine Hängematte ist, heraus und versucht, ziemlich schnell, wieder nach oben zu gelangen. Meist gelingt das nur, in dem ihm von unten eine:r (freiwillig) hilft, oder die Aufsteiger:innen auf die, die unten sind, treten.
Im weiteren Verlauf der intensiven Performance mit Daphna Horenczyk, Sahra Hoby, Ouindell Orton und Jascha Viehstädt landen alle auf dem Boden. Mit zumeist geschlossenen Augen versuchen sie, das ungewohnte Terrain unter sich und auch ihre eigenen neuen Bewegungsmöglichkeiten zu erkunden. Doch eine neue Sicherheit stellt sich für sie dabei nicht ein.
Immer wieder zieht es sie in die gewohnten Strukturen zurück, sie klettern erneut auf dem Gerüst herum, landen abermals im Netz und auch wieder unten, doch anscheinend wollen/können sie die vermeintlichen Sicherheiten und manifestierten Gedankenmuster nicht aufgeben.
HOPE/LESS entstand im Herbst 2022 – in einer Zeit, die mit dem Begriff der "Zeitenwende" markiert wurde. In einer Situation, in der viele (bisherige) Sicherheiten für viele hinweg gefegt wurden und multiperspektivische Krisen das menschliche Zusammenleben drastisch verändern. Mitten in Europa. Und gleichzeitig weltweit.
Sollte man also alle Hoffnung fahren lassen? Oder an einer neuen (gesellschaftlichen) Utopie arbeiten? Anna Konjetzkys eindrückliche Performance gibt darauf keine Antwort. Sie zeigt vor allem, wie schwierig es ist, sich zwischen Beharren und Loslassen, zwischen vermeintlicher Sicherheit und ungewohnter Freiheit zu entscheiden.
Über mehrere Etappen gerät das Metallgerüst dann doch ins Wanken beziehungsweise ins Rotieren; es verschwindet auch für kurze Zeit aus dem Bühnenzentrum. Doch Raum für etwas wirklich anderes ist da (noch) nicht. Ich hätte es gern einstürzen und die Tänzer:innen – stellvertretend für uns alle – an neuen Beziehungen untereinander "arbeiten" sehen. Also, miteinander ein wirkliches soziales Netz zu knüpfen, von dem auch Schwäche, Angst, Wut und Leere der Einzelnen aufgefangen werden.
Aber wahrscheinlich ist auch das schon wieder viel zu viel Hoffnung und zudem ein Streben nach Effizienz (Wirksamkeit), das dieser Gesellschaft immanent ist. Hoffnungslosigkeit – im Sinne von die Dinge geschehen lassen – ist jedenfalls "oben" nicht erlaubt und wird allerhöchstens im Zen-Seminar in der knappen Freizeit zugelassen.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, Hilfsprogramm DIS-TANZEN des Dachverband Tanz Deutschland."