Good Vibrationes
Tanzherbst heißt das neue Format der fabrik und es wurde mit einer Deutschlandpremiere der südafrikanischen Kompanie Via Katlehong aus Johannesburg eröffnet. Acht junge schwarze Performer: innen brachten, wie schon bei den Tanztagen die QDance Company von Qudus Onikeku aus Lagos, das weiße europäische Publikum in der fabrik zum Vibrieren.
Auch wenn der erste Teil des Abends "førm inførms" – eine Choreografie des portugiesischen Choreografen und Urban Dancers Marco da Silva Ferreira – mit einer frotzelnden Publikumsbeleidigung begann. Eine junge Frau blies immer wieder ihre Backen auf und ließ ihnen lautstarke "Maulfürze" entweichen.
Was für ein Bild: Auf dem weißen Tanzboden stehen diese jungen schwarzen Menschen, die aus einem Johannesburger Township kommen und lassen ihre prallen Muskeln und elastischen Körper vor weißem Publikum aufreizend spielen, und machen sich sogar ein wenig lustig über dieses.
Ein Vorgang, der so vor drei Jahrzehnten nahezu undenkbar war. Via Katlehong wurde 1992 – nach Abschaffung der Apartheid in Südafrika – in einem Johannesburger Armenviertel gegründet. In solchen Vierteln wurde bereits in den 1950er Jahren durch die migrierte Landbevölkerung die sogenannte Pantsula-Protestkultur geboren.
Genährt von einer starken Gemeinschaftsidentität verfolgt die Tanzkompanie Via Katlehong, die mit "Via Injabulo" auch beim diesjährigen Avignon-Festival vertreten war, eine pädagogische, kulturelle und soziale Mission für junge Menschen in Südafrika.
Denn Pantsula war ursprünglich mit "bad boys" assoziiert, und erfüllt in den unterprivilegierten Quartieren mittlerweile eine gegenteilige Funktion. In einer solchen Tanztruppe mitzumachen, fordert Disziplin und verschafft Stolz und Selbstbewusstsein.
Wie Hip-Hop in den Vereinigten Staaten ist auch die Pantsula-Kultur ein Lebensstil; sie umfasst Mode, Musik, Tanz, Gestencodes und Sprache. Und wie Hip-Hop findet sie ihr Ausdrucksfeld auf der Straße.
Auch diese acht tanzen als Gruppe von jeweils vier Frauen und Männern draußen. Ihre komplexe und temporeiche Beinarbeit und die rasanten und eleganten Hüftschwünge haben gleichzeitig enorm viel erdige und ebensolche feurige Energie.
Dazu kommen – seit den 1990er Jahren, als Südafrika langsam multiethnisch wurde – Elemente von Stepptanz und Gumboots dance. Und diese energetische Wucht – aus Lebenslust und Trotz bzw. auch Wut – überträgt sich auch hierzulande augenblicklich.
Für den zweiten Teil des Abends wurde der weiße Bodenbelag entfernt und der Hip Hop Tänzer und französische Choreograf Amala Dianor, der sich seit 2018 für die Ausbildung von Tänzer: innen in Westafrika engagiert, ließ zwei seiner Tänzer:innen zu Beginn das Potsdamer Publikum zum Mitklatschen und –pfeifen animieren.
Via Katlehong ließ in "Emaphakatini", was auf Zulu "Zwischenraum" bedeutet, die Tanzgeschichte Südafrikas Revue passieren. Es wurden sowohl traditionelle als auch moderne städtische Rhythmen aufgerufen und die große spielerische Virtuosität der in Südafrika üblichen Gemeinschaftstänze vorgeführt.
Eine Mischung aus "Isipantsula" (was Gehen mit hervorgerecktem Gesäß bedeutet) oder auch "Gumboots" (das auf Klatschen von Oberschenkeln und Waden beruht). Jede:r der Darsteller: innen schöpft dabei aus seiner persönlichen Geschichte und gemeinsam wird eine hybride Choreografie interpretiert, die auch eine Reflexion über Zuweisung einer Identität bzw. die Emanzipation davon anregt.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, [Hilfsprogramm DIS-TANZEN/ tanz:digital/ DIS-TANZ-START] des Dachverband Tanz Deutschland."