In der Einsamkeitsschleife
Vogelzwitschern, Kindergeschrei und Hundegebell stehen ganz am Anfang der Tanzaufführung der Cottbusser Choreografin Golde Grunske, die damit bei Made in Potsdam in der fabrik zu Gast war.
Ein Tänzer und drei Tänzerinnen laufen zu Beginn am Rand der leeren Arena in Richtung Publikum und nehmen immer wieder freundlichen Blickkontakt zu einzelnen Zuschauer*innen auf. Etwas, das sich noch vor zwei Jahren ganz normal anfühlte.
CON.TAKT.LOS ist jedoch während der Corona-Pandemie entstanden und verarbeitet auch Erfahrungen vor allem junger Menschen, die Golde Grunske zu ihren Erlebnissen während der Lockdowns befragte.
In ihrem Tanzstück wird das anfängliche pralle öffentliche Menschenleben abrupt unterbrochen, die Tänzer*innen frieren mit großem Abstand zueinander auf ihren Plätzen und in ihren Bewegungen ein und sind fortan einer energischen Tonspur aus elektronischer Musik unterworfen. Die harten Beatrhythmen treiben sie zu intensiven, jedoch im Radius stark eingeschränkten Bewegungen an.
Erlebnisse während des Lockdowns
Jede*r ist allein, kommt mit den inzwischen überkreuzten eigenen Beinen nicht mehr vom Fleck, der eigene Horizont reicht kaum mehr zwei Meter weit. Etwas, das die Meisten von uns gut aus den ersten Wochen und Monaten der Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen kennen.
Wie festgeklebt verharren die Tänzer*innen an ihren Plätzen, da hilft auch der immense Energieaufwand, den sie betreiben, nicht, um grundsätzlich ihre Situation zu verändern. Dem Kraftaufwand folgt die Wut, der Wut die Resignation und alles bleibt, mit minimalen Abstufungen, wie es ist.
CON.TAKT.LOS gelingt es eindrücklich, diese allgemeinen Einsamkeits- und Frustgefühle tänzerisch auszudrücken. Irgendwann hängen die vier Menschen nur noch wie Marionetten an ihren Fäden, verlieren ihre individuelle Seele und wirken wie fremdbestimmte Roboter.
Doch dann besinnen sie sich langsam auf das Eigentliche, was das Menschsein ausmacht, und was so lange und immer wieder untersagt war – sie nehmen zaghaft wieder Kontakt zueinander auf.
Kontaktaufnahme nach Isolation
Zuerst über die Augen, dann vorsichtig über lang ausgestreckte Hände und Füße. Und weil es Tänzer*innen sind, haben sie auch das tänzerische Mittel der Kontaktimprovisation zur Verfügung. Darüber geschieht eine spielerische und vorzugsweise energetisch-fließende Annäherung an den Anderen, allmählich werden Vertrauen und Verbindung wieder möglich.
Das fühlt sich einfach und wunderbar an. Man sieht diese Technik mit ganz anderen Augen und kann das Herantasten an den Anderen qualitativ neu entdecken. Davor ist aber auch noch überaus deutlich zu spüren, wie sehr – und vor allem nach der inzwischen über zweijährigen Einsamkeitsschleife – das vorher vorherrschende Konkurrenzverhalten eigentlich ausgedient hat.
Kommunikation über Tanz ermöglichen
Golde Grunskes Tanzcompanie ist in Cottbus ein wichtiger Standort von Dance in Residence (DIR) in Brandenburg und sie arbeitet eng mit der Potsdamer fabrik zusammen. Die Choreografin fragt sich schon länger, wie sie mit Tanz auch Nicht-Theaterinteressierte an Orten außerhalb des Theaters, zum Beispiel im öffentlichen Raum, erreichen kann.
Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise 2015 entwickelte sie ein Stück, mit dem sie in der Lausitz unterwegs war. Und auch die ersten Reaktionen auf CON.TAKT.LOS zeigen, wie sehr die Menschen an einem direkten Austausch über das kollektiv Erlebte interessiert sind.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, [Hilfsprogramm DIS-TANZEN/ tanz:digital/ DIS-TANZ-START] des Dachverband Tanz Deutschland."