Nach uns die Sintflut
Dass Unidram in seinem 30. Jahr in Feierlaune ist, war zu erwarten. Und dass die Schweizer Eröffnungsinszenierung "Nach uns die Zukunft" von kraut_produktion dies so schön schräg und gleichzeitig so bitterböse bediente, war mehr als eine dramaturgische Finesse des Jubiläumsfestivals.
Doch anfangs war einem nicht bewusst, wozu man eigentlich gebeten war. Denn dieses Bühnen-Setting – zweigeteilte grüne Wiese mit hölzernem Jägerhochstand – und lauter skurrilen Gestalten mit hässlichen Perücken bestückt und/oder als wiehernde Rennpferde auftretend, war ein Zwischending zwischen ländlichem Kostümball und einer Freakshow.
In die man als Zuschauer*in auch sehr schnell einbezogen wird mit Rotkäppchen-Sekt und (Schweizer?) Schokoladenstückchen und von diesem graulanghaarigen Animateur, der beide Seiten und seine ganze bunte Truppe schenkelklopfend in Stimmung bringt.
Auch die traditionelle "Damenwahl" wird bald verkündet und stracks umgesetzt. Aber die ersten Misstöne – "Das Wasser steigt, das Eis wird knapp" – sind bald zu hören und so langsam dämmert einem, dass diese schrille Performance auch unter dem Titel des geflügelten Wortes "Nach uns die Sintflut" firmieren könnte.
Denn der Weltuntergang wird hier sukzessive angesagt respektive vorangetrieben, nicht nur von den sogenannten Ökoaktivisten, die herrlich z. B. mit der Misch-Rotte im Thermokomposter vorgeführt werden, sondern auch in der schmalzigen Unterhaltungsindustrie, beim Bäume umarmen oder in gruppendynamischen Prozessen von Menschen, die in modernen Gemeinschaften leben.
Und schließlich kann man dem Untergang von Kreuzfahrtschiffen (wie der Titanic) auch auf Videoprojektionen beiwohnen. Ganz großartig ist die (gefühlte Schluss-)Szene, als Hildegard Knefs Song "Die Welt ging unter am Zürichsee bei 30 Grad im Schatten" über das Ende einer Beziehung von 1968 ertönt und eine übergewichtige junge Frau allein und verlassen Unmengen von Fastfood in sich reinstopft.
Denn die anderen Gestalten haben das sinkende Schiff da schon längst verlassen und erscheinen kurz darauf in Videoprojektionen – wie schwerelos im Raum – und mit WC-papiernem Bezug zur Corona-Pandemie, während der "Nach uns die Zukunft" entstand.
Allerdings wirkt dieses letzte Viertel ein wenig wie angeklebt und wird dann durch die Ausflüge in Roboter- und KI-Technik-Labore und slapstickartige virtuelle Weltuntergangszenarien, an denen baumfällende Menschen beteiligt sind, unnötig verlängert.
Und: Ein wenig fühlt sich das an, als müsste einem noch die letzte Konsequenz aufs Auge gedrückt werden – das geschieht inzwischen auch in immer mehr anderen theatralen Inszenierungen – unterfordert jedoch letztlich das eigene Denken und Handeln. Und: Dass dabei Kriege ausgespart werden, ist eine eklatante Fehlstelle.
Doch summa summarum war "Nach uns die Zukunft" genau das Event, das im Angesicht der gerade stattfindenden US-Wahl, unserer durchgeknallten Menschheitsfamilie einen diabolischen Zerrspiegel vorhielt.
Astrid Priebs-Tröger