Nach uns die Sintflut

Dass Uni­dram in sei­nem 30. Jahr in Fei­er­lau­ne ist, war zu erwar­ten. Und dass die Schwei­zer Eröff­nungs­in­sze­nie­rung "Nach uns die Zukunft" von kraut_produktion dies so schön schräg und gleich­zei­tig so bit­ter­bö­se bedien­te, war mehr als eine dra­ma­tur­gi­sche Fines­se des Jubiläumsfestivals.

Doch anfangs war einem nicht bewusst, wozu man eigent­lich gebe­ten war. Denn die­ses Büh­nen-Set­ting – zwei­ge­teil­te grü­ne Wie­se mit höl­zer­nem Jäger­hoch­stand – und lau­ter skur­ri­len Gestal­ten mit häss­li­chen Perü­cken bestückt und/oder als wie­hern­de Renn­pfer­de auf­tre­tend, war ein Zwi­schen­ding zwi­schen länd­li­chem Kos­tüm­ball und einer Freakshow.

kraut_produktionen, Nach uns die Zukunft ©Niklaus Spoerri

In die man als Zuschauer*in auch sehr schnell ein­be­zo­gen wird mit Rot­käpp­chen-Sekt und (Schwei­zer?) Scho­ko­la­den­stück­chen und von die­sem grau­lang­haa­ri­gen Ani­ma­teur, der bei­de Sei­ten und sei­ne gan­ze bun­te Trup­pe schen­kel­klop­fend in Stim­mung bringt.

Auch die tra­di­tio­nel­le "Damen­wahl" wird bald ver­kün­det und stracks umge­setzt. Aber die ers­ten Miss­tö­ne – "Das Was­ser steigt, das Eis wird knapp" – sind bald zu hören und so lang­sam däm­mert einem, dass die­se schril­le Per­for­mance auch unter dem Titel des geflü­gel­ten Wor­tes "Nach uns die Sint­flut" fir­mie­ren könnte.

kraut_produktionen, Nach uns die Zukunft ©Niklaus Spoerri

Denn der Welt­un­ter­gang wird hier suk­zes­si­ve ange­sagt respek­ti­ve vor­an­ge­trie­ben, nicht nur von den soge­nann­ten Öko­ak­ti­vis­ten, die herr­lich z. B. mit der Misch-Rot­te im  Ther­mo­kom­pos­ter vor­ge­führt wer­den, son­dern auch in der schmal­zi­gen Unter­hal­tungs­in­dus­trie, beim Bäu­me umar­men oder in grup­pen­dy­na­mi­schen Pro­zes­sen von Men­schen, die in moder­nen Gemein­schaf­ten leben.

Und schließ­lich kann man dem Unter­gang von Kreuz­fahrt­schif­fen (wie der Tita­nic) auch auf Video­pro­jek­tio­nen bei­woh­nen. Ganz groß­ar­tig ist die (gefühl­te Schluss-)Szene, als Hil­de­gard Knefs Song "Die Welt ging unter am Zürich­see bei 30 Grad im Schat­ten" über das Ende einer Bezie­hung von 1968 ertönt und eine über­ge­wich­ti­ge jun­ge Frau allein und ver­las­sen Unmen­gen von Fast­food in sich reinstopft.

kraut_produktionen, Nach uns die Zukunft ©Niklaus Spoerri

Denn die ande­ren Gestal­ten haben das sin­ken­de Schiff da schon längst ver­las­sen und erschei­nen kurz dar­auf in Video­pro­jek­tio­nen – wie schwe­re­los im Raum – und mit WC-papier­nem Bezug zur Coro­na-Pan­de­mie, wäh­rend der "Nach uns die Zukunft" entstand.

Aller­dings wirkt die­ses letz­te Vier­tel ein wenig wie ange­klebt und wird dann durch die Aus­flü­ge in Robo­ter- und KI-Tech­nik-Labo­re und slap­stick­ar­ti­ge vir­tu­el­le Welt­un­ter­gang­sze­na­ri­en, an denen baum­fäl­len­de Men­schen betei­ligt sind, unnö­tig verlängert.

Und: Ein wenig fühlt sich das an, als müss­te einem noch die letz­te Kon­se­quenz aufs Auge gedrückt wer­den – das geschieht inzwi­schen auch in immer mehr ande­ren thea­tra­len Insze­nie­run­gen – unter­for­dert jedoch letzt­lich das eige­ne Den­ken und Han­deln. Und: Dass dabei Krie­ge aus­ge­spart wer­den, ist eine ekla­tan­te Fehlstelle.

Doch sum­ma sum­ma­rum war "Nach uns die Zukunft" genau das Event, das im Ange­sicht der gera­de statt­fin­den­den US-Wahl, unse­rer durch­ge­knall­ten Mensch­heits­fa­mi­lie einen dia­bo­li­schen Zerr­spie­gel vorhielt. 

Astrid Priebs-Trö­ger

06. November 2024 von Textur-Buero
Kategorien: Allgemein, Performance, Theater | Schlagwörter: , , , , | Schreibe einen Kommentar

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