Ode an die Vergänglichkeit
Mit einer ungewöhnlichen Material-Performance eröffnete das 3. RADAR-Figurentheaterfestival. Zwei Gestalten in schwarzen Overalls empfingen mit ein paar Staubsaugern bewaffnet geräuschvoll das Publikum. Und während ER die unterschiedlichsten Gerätetypen auf der leeren Bühne anordnete, arbeitete SIE sich akribisch saugend an den Heizkörpern des T‑Werkes ab.
Bereits da, aber erst recht, als die Performer den Inhalt eines Staubsauger-Beutels wie Archäologen auseinandernahmen und schließlich auch noch riesige graue und verfilzte Staubwolkenstücke über die Bühne schmissen, war man froh eine FFP2-Maske vor der Nase zu haben. Im Scheinwerferlicht sah man es beachtlich stieben und stauben.
Im Deutschen gibt es jede Menge Redewendungen, die mit Staub zu tun haben: wie eine Menge Staub aufwirbeln, sich aus selbigem machen bis hin zur christlichen Begräbnisformel, in der Staub zu Staub wird. Und doch will niemand mit dem immerwährenden Abrieb unseres Lebens wirklich gern zu tun haben, wird die fortwährende Auseinandersetzung damit gar als Sisyphus-Arbeit beschrieben.
Ganz anders die Performer*innen des Bochumer Kollektivs äöü, die erst 2018 zusammenfanden. Neben jeder Menge (Haus-)Staub, der sich bekanntlich besonders gut auf so genannten Staubfängern wie Nippes ansammelt, lassen sie (gefühlte) Ewigkeiten den Song "Schenkt man sich Rosen in Tirol" aus der Operette "Der Vogelhändler" von 1891 erklingen.
Sie war Carl Zellers beliebtestes Werk, ja gar eine der erfolgreichsten Operetten aller Zeiten und passte hervorragend zu den zahlreichen weißen Porzellanfigürchen, die ebenfalls die Bühne bevölkern und auf dem sanft laufenden Förderband eine skurrile Metapher für ein langes aber stetig vergehendes Leben abgeben.
Denn darum geht es eigentlich. "Aus dem Innenleben eines Staubsaugerbeutels" ist eine Ode an die Vergänglichkeit alles Irdischen. Denn bei äöü gerät das menschliche Leben in fast allen seinen Facetten unter das Forscher-Mikroskop. Da gibt es auch einen Exkurs zu Kitsch und abgenutzten Haushaltsgeräten und natürlich immer wieder zur Zerbrechlichkeit von menschlichen Beziehungen.
Das alles wird mit jeder Menge (Staub-) Material, ziemlich vielen Worten und großem Körpereinsatz hergeleitet. Besonders originell waren solche humorvollen Momente wie die anfängliche "Staubsaugersinfonie", wissenschaftliche Erkenntnisse von der (Haus-) Staubmenge, die jede*r von uns sekündlich erzeugt und ihre zeitgemäße Zusammenfassung in einer Personal Cloud.
Was von einem Menschenleben – im Allgemeinen – übrigbleibt, war ganz am Ende zu besichtigen. Der zusammengetragene Berg von Gebrauchsgegenständen war auch ein kritischer Fingerzeig in Richtung herrschende Konsumkultur und wahrscheinlich sollten wir lebenslang hauptsächlich daran arbeiten, dass vor allem Organisches schnell wieder zu Erde wird. Ganz im Sinne Friedensreich Hundertwassers, der schon vor über drei Jahrzehnten Humus und Humanität gleichsetzte.
Astrid Priebs-Tröger