Schöne neue Welt
Nackte menschliche Körper, gleißende Neonröhren, monotone Fließgeräusche und überwiegend rotierende Bewegungen konstituierten die hypnotische Performance "Moving in Concert" der dänischen Choreografin Mette Ingvartsen, die als Deutschlandpremiere die 32. Potsdamer Tanztage im Hans Otto Theater eröffnete.
"Moving in Concert" entstand bereits 2019 und sollte 2020 auf dem Potsdamer Festival gezeigt werden. Corona verhinderte dies. Doch auch drei Jahre später hat dieser Beginn einer neuen Serie über Technologie – Das Stück stellt sich ein Universum vor, in dem Menschen, Technologien und natürliche Materialien nebeneinander existieren und ein abstraktes Bewegungsgefüge bilden – sagte die Choreografin in einem Interview – noch nichts an Aktualität eingebüßt. Ganz im Gegenteil.
Zu Beginn verstört dieser Kontrast: neun nackte Tänzer:innen treffen auf sieben Neonröhren. Warme Natürlichkeit versus kalte Technik. Doch dieser Eindruck verflüchtigt sich schnell, denn die Verbindung beziehungsweise Verschmelzung der hell leuchtenden, starren Röhren und der beweglichen menschlichen Gestalten im Zwielicht passiert beinahe unmerklich.
Licht und Schatten wechseln sich ab und dies ermöglicht das Zusammenfinden einer Gruppe, die aus den vielen Einzelnen durch die Leuchten verbunden werden; diese wiederum formen sowohl ein plastisches Leuchten- als auch Körper-Gebilde, die sich beide durch die Bewegungen der Tänzer:innen fortwährend ändern. Anfangs gibt es Außenseiter:innen. Und bis zum Ende hat immer eine:r der Performer:innen einen archaisch wirkenden, knotigen Stock anstelle einer leuchtenden Röhre.
"Moving in Concert" stellt Fragen zu den sensorischen Mechanismen unseres Körpers, sagte Ingvartsen im selben Interview, ganz konkret zu den Auswirkungen der Technologie auf unser Gehirn und wie sich die neurologischen Muster entsprechend verändern.
Ein weiteres zentrales Thema ist die Plastizität, ein Begriff, der aus den Neurowissenschaften stammt, und der sowohl die Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit des Gehirns beschreibt und gleichzeitig auch seine Abwehr dagegen einschließt. Beides wolle sie jedoch auf einer abstrakten Ebene verhandeln.
In "Moving in Concert" geraten Menschen und Technik in einen dauerhaften, verbindenden Sog, der fantastische Gebilde hervorbringt, die sich in fortwährenden rotierenden Bewegungen der grandiosen Tänzer – sechs Männer und drei Frauen – überschneiden, kaum mehr einzeln auszumachen sind – einen als Zuschauer in eine (innere) Dauerschleife zwingen, die immer rasanter wird und schwer(er) auszuhalten ist.
Gleichzeitig erzeugt sie auf der Bühne faszinierende, so noch nicht gesehene Bilder. Die Leuchtstoffröhren beleuchten die Körper/machen sie erst sichtbar, verstärken ihre Wirkung und umgekehrt. Das wird einem erst am Ende, als der Großteil der Tänzer:innen über den Bühnenrand rollt und im Dunkeln verschwindet, bewusst. Und als schließlich ein letzter seine Leuchte auf den Boden legt. Diese (Ab-) Trennung macht die vorherige grandiose Verschmelzung bewusst.
In "Moving in Concert" dreht sich alles um Kollektivität. Wie kann, wird Technik weiterhin mit unserer Spezies verschmelzen, die allgegenwärtigen Smartphones sind ja nur ein Vorgeschmack auf das, was zukünftig möglich sein wird und wie verändert dieser Prozess unser Zusammenleben?
Der Titel hatte anfangs noch den Zusatz "with things", um darauf hinzuweisen, so Ingvartsen, dass wir neu darüber nachdenken müssen, wie wir uns mit nicht-menschlichen Elementen verbinden und wie dies unsere menschlichen Beziehungen verändert.
Die Choreografin, die bei Chris Dercon an der Volksbühne engagiert war, sucht ein anderes Gleichgewicht zwischen Menschen, Technologien und natürlichen Materialien. Dabei geht es ihr um Formen der Koexistenz und vielleicht eine widerstandsfähige Form des Zusammenseins. Letzteres war in "Moving in Concert" kaum auszumachen, dafür umso mehr die Faszination für und die Verführung durch Technik zu erleben.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, Hilfsprogramm DIS-TANZEN des Dachverband Tanz Deutschland."