Schöne neue Welt

Nack­te mensch­li­che Kör­per, glei­ßen­de Neon­röh­ren, mono­to­ne Fließ­ge­räu­sche und über­wie­gend rotie­ren­de Bewe­gun­gen kon­sti­tu­ier­ten die hyp­no­ti­sche Per­for­mance "Moving in Con­cert"  der däni­schen Cho­reo­gra­fin Met­te Ingv­art­sen, die als Deutsch­land­pre­mie­re die 32. Pots­da­mer Tanz­ta­ge im Hans Otto Thea­ter eröffnete.

"Moving in Con­cert" ent­stand bereits 2019 und soll­te 2020 auf dem Pots­da­mer Fes­ti­val gezeigt wer­den. Coro­na ver­hin­der­te dies. Doch auch drei Jah­re spä­ter hat die­ser Beginn einer neu­en Serie über Tech­no­lo­gie – Das Stück stellt sich ein Uni­ver­sum vor, in dem Men­schen, Tech­no­lo­gien und natür­li­che Mate­ria­li­en neben­ein­an­der exis­tie­ren und ein abs­trak­tes Bewe­gungs­ge­fü­ge bil­den – sag­te die Cho­reo­gra­fin in einem Inter­view – noch nichts an Aktua­li­tät ein­ge­büßt. Ganz im Gegenteil.

Moving in Con­cert, Foto: Marc Domage

Zu Beginn ver­stört die­ser Kon­trast: neun nack­te Tänzer:innen tref­fen auf sie­ben Neon­röh­ren. War­me Natür­lich­keit ver­sus kal­te Tech­nik. Doch die­ser Ein­druck ver­flüch­tigt sich schnell, denn die Ver­bin­dung bezie­hungs­wei­se Ver­schmel­zung  der hell leuch­ten­den, star­ren Röh­ren und der beweg­li­chen mensch­li­chen Gestal­ten im Zwie­licht pas­siert bei­na­he unmerklich.

Licht und Schat­ten wech­seln sich ab und dies ermög­licht das Zusam­men­fin­den einer Grup­pe, die aus den vie­len Ein­zel­nen durch die Leuch­ten ver­bun­den wer­den; die­se wie­der­um for­men sowohl ein plas­ti­sches Leuch­ten- als auch Kör­per-Gebil­de, die sich bei­de durch die Bewe­gun­gen der Tänzer:innen fort­wäh­rend ändern. Anfangs gibt es Außenseiter:innen. Und bis zum Ende hat immer eine:r der Performer:innen einen archa­isch wir­ken­den, kno­ti­gen Stock anstel­le einer leuch­ten­den Röhre.

Moving in Con­cert, Foto: Marc Domage

"Moving in Con­cert" stellt Fra­gen zu den sen­so­ri­schen Mecha­nis­men unse­res Kör­pers, sag­te Ingv­art­sen im sel­ben Inter­view, ganz kon­kret zu den Aus­wir­kun­gen der Tech­no­lo­gie auf unser Gehirn und wie sich die neu­ro­lo­gi­schen Mus­ter ent­spre­chend verändern.

Ein wei­te­res zen­tra­les The­ma ist die Plas­ti­zi­tät, ein Begriff, der aus den Neu­ro­wis­sen­schaf­ten stammt, und der sowohl die Anpas­sungs- und Ver­än­de­rungs­fä­hig­keit des Gehirns beschreibt und gleich­zei­tig auch sei­ne Abwehr dage­gen ein­schließt. Bei­des wol­le sie jedoch auf einer abs­trak­ten Ebe­ne verhandeln.

Moving in Con­cert, Foto: Marc Domage

In "Moving in Con­cert" gera­ten Men­schen und Tech­nik in einen dau­er­haf­ten, ver­bin­den­den Sog, der fan­tas­ti­sche Gebil­de her­vor­bringt, die sich in fort­wäh­ren­den rotie­ren­den Bewe­gun­gen der gran­dio­sen Tän­zer – sechs Män­ner und drei Frau­en – über­schnei­den, kaum mehr ein­zeln aus­zu­ma­chen sind – einen als Zuschau­er in eine (inne­re) Dau­er­schlei­fe zwin­gen, die immer rasan­ter wird und schwer(er) aus­zu­hal­ten ist.

Gleich­zei­tig erzeugt sie auf der Büh­ne fas­zi­nie­ren­de, so noch nicht gese­he­ne  Bil­der. Die Leucht­stoff­röh­ren beleuch­ten die Körper/machen sie erst sicht­bar, ver­stär­ken ihre Wir­kung und umge­kehrt. Das wird einem erst am Ende, als der Groß­teil der Tänzer:innen über den Büh­nen­rand rollt und im Dun­keln ver­schwin­det, bewusst. Und als schließ­lich ein letz­ter sei­ne Leuch­te auf den Boden legt. Die­se (Ab-) Tren­nung macht die vor­he­ri­ge gran­dio­se Ver­schmel­zung bewusst.

Moving in Con­cert, Foto: Marc Domage

In "Moving in Con­cert" dreht sich alles um Kol­lek­ti­vi­tät. Wie kann, wird Tech­nik wei­ter­hin mit unse­rer Spe­zi­es ver­schmel­zen, die all­ge­gen­wär­ti­gen Smart­phones sind ja nur ein Vor­ge­schmack auf das, was zukünf­tig mög­lich sein wird und wie ver­än­dert die­ser Pro­zess unser Zusammenleben?

Der Titel hat­te anfangs noch den Zusatz "with things", um dar­auf hin­zu­wei­sen, so Ingv­art­sen, dass wir neu dar­über nach­den­ken müs­sen, wie wir uns mit nicht-mensch­li­chen Ele­men­ten ver­bin­den und wie dies unse­re mensch­li­chen Bezie­hun­gen verändert. 

Die Cho­reo­gra­fin, die bei Chris Der­con an der Volks­büh­ne enga­giert war, sucht ein ande­res Gleich­ge­wicht zwi­schen Men­schen, Tech­no­lo­gien und natür­li­chen Mate­ria­li­en. Dabei geht es ihr um For­men der Koexis­tenz und viel­leicht eine wider­stands­fä­hi­ge Form des Zusam­men­seins. Letz­te­res war in "Moving in Con­cert" kaum aus­zu­ma­chen, dafür umso mehr die Fas­zi­na­ti­on für und die Ver­füh­rung durch Tech­nik zu erleben.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die Arbeit an die­sem Arti­kel wur­de "geför­dert durch die Beauf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medi­en im Pro­gramm NEUSTART KULTUR, Hilfs­pro­gramm DIS-TANZEN des Dach­ver­band Tanz Deutsch­land."

31. Mai 2023 von Textur-Buero
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