Schuhe, die nicht drücken
Der Schuh in der Kunst ist ein uraltes, nahezu unerschöpfliches Thema. Auch in Märchen kommt er vor, im "Aschenputtel" oder in den "Zertanzten Schuhen" etwa. In der explore dance-Inzenierung "Wo drückt der Schuh" von Schmück, Kawabata & Gubler für Kinder ab 6 wird er gleich dutzendfach auf die Bühne in der Potsdamer Rosa Luxemburg-Schule gekippt.
Doch während es in den überlieferten Geschichten um Elfenschuhe oder Siebenmeilenstiefel geht, schleppen die beiden Tänzerinnen Jana Schmück und Mami Kawabata jede Menge kuschelige Haus- und sportliche Treckingschuhe, rote Gummistiefel, weiße High Heels, zierliche Ballerinas und Sandalen auf die Bühne. Und fragen gleich zu Anfang "wo der Schuh drückt".
Diese Redewendung, die nach dem Befinden fragt und heutzutage kaum noch gebraucht wird, zeigt wie andere auch, wie eng die Verbindung zwischen Mensch und Schuh ist. Und die Deutschen, die immer wieder ermahnt werden, "fit wie ein Turnschuh zu sein", besaßen laut Statistik im vergangenen Jahr im Durchschnitt pro Kopf 8,2 Paar Schuhe.
Jana Schmück und Mami Kawabata häufen ihre Paare zu drei Bergen auf und tanzen erstmal mit großen ausladenden Bewegungen unbeschwert zwischen ihnen hin und her. Sie probieren dabei auch ein paar andere Modelle an, humpeln – an einem Fuß mit High Heels und am anderen mit Turnschuh – unsicher in ihnen hin und her.
Ihre mitreißende Performance verändert sich mehrmals. Sowohl atmosphärisch, als auch in Hinblick auf ihre gegenseitigen Interaktionen. Nach der unsicheren Balancephase folgt eine, wo eine Tänzerin die andere durch das bunte Schuhgewirr auf dem Boden trägt. Wenig später geraten beide in einen Streit, der nach einigen Remplern schließlich in versöhnenden Umarmungen endet.
Gerade hier steigen die acht- bis zehnjährigen Zuschauer:innen emotional stark ein. Denn genau solche körperlichen Kräftemess-Szenen gehören bei den Grundschüler:innen zum Schulalltag. Der ihnen hier im Tanzstück, das von Eve Gubler co-choreografiert wurde, ganz ohne Worte (und Wertung) gespiegelt wird.
Schön sind auch die Abschnitte, wo die Tänzerinnen Schuhe an langen farbigen Schnürsenkeln wild über ihren Köpfen kreisen lassen oder später nur mit den neonfarbigen Bändern fast so etwas wie Sportgymnastik vollführen. Es folgen zwei kurze Tanzsolos, in denen Jana Schmück und Mami Kawabata auch die Themen Einsamkeit und Ausgeschlossen sein thematisieren.
Etwas, das ebenfalls kindliche Erfahrungen thematisiert respektive berührt und die notwendigen dramaturgischen Brüche in der ansonsten fröhlich unterhaltsamen Inszenierung markiert.
Zum Ende hin bringen beide die bunten Schuhmassen diagonal in Reih und Glied und ermahnen auch die zuschauenden Kinder, ihre Körperhaltung zu straffen. Die nehmen die Mitmachperspektive jetzt sehr bereitwillig an, und schmeißen, als eine Tänzerin den ganzen Schuhberg für sich reklamiert, bereitwillig noch ein Dutzend ihrer eigenen Hausschuhe auf die Bühne.
"Wo drückt der Schuh" ist eine gutgelaunte, sehr kindgemäße Performance, die für Grund- schüler:innen einen ersten sinnlichen Zugang zu modernem Tanz ermöglicht. Und durch die Pop up-Formate in Schulen die Exklusivität des Theaterraums wohltuend aufhebt und allen Beteiligten eine neue Erfahrung ermöglicht. Nämlich diese, dass sich Tanz auch aus ganz alltäglichen Bewegungen und Themen speist und mit einfachsten Mitteln in Szene gesetzt werden kann.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, Hilfsprogramm DIS-TANZEN des Dachverband Tanz Deutschland."