Über die Liebe – im Krieg
Leicht und verspielt – wie ein Schmetterling – ist die Liebe zwischen den beiden. Bis in jene Märztage des Jahres 2011, die als "Arabischer Frühling" in die Geschichte eingegangen und in Syrien seit dieser Zeit in einem Bürgerkrieg eskaliert sind. Krieg verändert alle und alles. Dies war nachdrücklich in der Performance "The other face of the moon" zu spüren, die im T‑Werk Premiere feierte.
Die junge Frau (Angélique Préau) wartet in einer heruntergekommenen Bleibe auf ihren Liebsten (Jalal Mando). Wasser tropft durchs undichte Dach, es ist dunkel und kalt. Sie zückt ein Messer, als sie draußen Schritte hört. Plötzlich steht ein zerlumpter, staubbedeckter und blutender Mann vor ihr. Sie braucht eine ganze Weile, ehe sie ihn wiedererkennt.
In dieser Anfangsszene lässt sich erahnen, was der slowenische Kulturkritiker Slavoj Žižek meint: "Wenn die Wahrheit zu traumatisch ist, um ihr direkt ins Auge zu sehen, lässt sie sich nur in Gestalt einer Fiktion akzeptieren." Die direkte Abbildung des Schreckens wäre, so Žižek, "obszön und respektlos gegenüber den Opfern."
Zum Glück passiert so eine wirklichkeitsnahe Abbildung nur an dieser und noch einer anderen Stelle in der facettenreichen Inszenierung von Philip Baumgarten. Doch ihre befremdliche Wirkung wird verstärkt, weil man als Zuschauer weiß, dass der 25jährige Jalal Mando in Syrien selbst im Gefängnis saß und Ähnliches er- und überlebt hat.
Doch wenn die junge Frau grob an ihrem Geliebten herumschrubbt und über alles, was sie in der bangen Zeit des Wartens erlebt hat, hinwegzureden versucht, entsteht ein starker darstellerischer Moment. Und die atmosphärisch dichte Inszenierung findet glücklicherweise weitere fiktionale Bilder – wie das mit der Reisetasche, die ein schwer verwundetes Kind symbolisiert – die einen nicht zum Voyeur werden lassen, sondern zum Einfühlen ermutigen.
Da hat sie ihre eindrücklichsten Momente, wie auch in den dokumentarischen Kriegsbildern, welche mit zwei längeren Tanzszenen wechseln, in denen die beiden Protogonisten ihre Gefühle von Verlassenheit, Angst und Ohnmacht vor allem nonverbal ausdrücken können. Doch auch Freude, Übermut und Leichtigkeit haben ihren Raum und durch ihre partielle Anwesenheit wird umso deutlicher, was diese beiden Menschen eigentlich verloren haben.
Jalal Mando kommt aus Syrien und lebt seit fast einem Jahr in Deutschland. Er will als Schauspieler aufklären und berühren. In Potsdam traf er die französische Performerin Angélique Préau, die mit ihm diese Szenen eines jungen Paares darstellt. Préau überzeugt kraft ihrer Einfühlung. Und wenn sie arabisch singt und zuerst voller Angst gegen die Demonstrationsteilnahme ihres Freundes ist und sich schließlich doch durchringt, gemeinsam mit ihm "Freiheit" zu brüllen, ist das für jeden im Zuschauerraum nachvollziehbar.
Noch etwas anderes macht diese Performance bedeutsam. In der Extremsituation des Krieges kommen auch die Geschlechterrollen auf den Prüfstand. Dieses Paar, das vorher auf Augenhöhe lebte, sieht sich jetzt damit konfrontiert, dass er nun die Entscheidungen für beide trifft. Dabei geraten nicht nur die "Schmetterlinge" gewaltig ins Taumeln.
Astrid Priebs-Tröger
Dieser Text erschien zuerst in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) am 24.10.2016