Von Erinnerungen zehren
Not macht erfinderisch, sagt der Volksmund. Und auch die fabrik Potsdam, die im ersten Lockdown die Tanztage 2020 verschieben und zumindest teilweise neu erfinden musste, besinnt sich auch jetzt im zweiten auf ihr Improvisationstalent.
Denn "Made in Potsdam" – das seit 2012 etablierte Festival am Anfang eines jeden neuen Jahres – fiel zum Großteil den erneuten Corona-Einschränkungen zum Opfer. Doch der Ausstellungsteil, der von Anfang an zum MIP-Programm gehörte, ist bis zum 28. März rund um die fabrik als Open-Air-Kunst-Spaziergang zu erleben.
Das ist zwar kein vollständiger Ersatz für das, was sonst zu erfahren war, doch dem fabrik-Team gelingt es mit den ausgewählten Ausstellungsstücken zumindest, starke Erinnerungen an vergangene Aufführungen und Performances wachzurufen. Und in kulturell mageren oder schlechten Zeiten zehrt Mensch eben gerade auch davon.
"Fremdgehen" heißt das Corona konforme, doch bereits wesentlich früher entwickelte Format der Berliner Choreografin Sabine Zahn, mit dem jeweils ein/e Performer*in und ein/e Beteiligte*r den Stadtraum gemeinsam mit allen Sinnen erkunden.
Im August 2020 konnte man das auch im Potsdamer Stadtzentrum und den Fragen – wie fühlt sich deine Stadt an und was macht das mit deinem Körper – nachspüren. Jetzt sind Videoaufnahmen dieser Performance zu sehen. Wie auch der Film der Performance "As far as the eye can hear" von Martine Pisani und Oscar Loeser.
Oben drüber hängen an der Außenwand 14 Stoffbilder mit gelben, roten oder blauen äußerst lebendig wirkenden Körperabdrücken. Die israelische Choreografin Yasmeen Godder hatte dieses "I’m here"-Projekt im ersten Lockdown ersonnen, als die menschlichen Körper fast vollständig von den Straßen ihres Heimatlandes verschwanden.
Sie wollte diesem Verlust etwas entgegensetzen und hat zuerst ihren eigenen Körperabdruck mittels Farbe auf Stoff verewigt und dann immer mehr Menschen – so auch die Potsdamer* innen während der Tanztage im August – dazu eingeladen, es ihr nachzutun. Die farbenfrohen, lebensgroßen Stoffbanner an der fabrik zeigen jetzt stehende, sitzende, liegende und tanzende Menschen – mit vitaler Energie und starker Lebenslust.
Am Foyer der fabrik sind die "Thüringen"-Installation und ein Video der Bildhauerin, Performerin und Musikerin Maren Strack zu sehen. Im Video steht sie im schwarzen Kleid und mit langen wallenden Haaren auf einem weißen Stein und versucht, durch eine Art ruppigen Stepptanz darauf, ihn zu zerstören. Sich den eigenen Frust aus dem Leib tanzen – auch in Bezug auf Corona und die Folgen – nicht nur dazu kann diese energiegeladene Performance anregen.
Ihre skurrile zweigeschossige Thüringen-Installation ist von 2020 – viele kleine (Eisenbahn-) Modellbauhäuser auf zahlreichen beweglichen Hügeln aus Grün und Fell – und gemahnt im offenen fabrik-Eingang eindringlich an die immerwährende Veränderlichkeit – auch des gegenwärtigen Weltzustandes.
Direkt ins Gespräch kommen kann man hingegen mit den Potsdamer Künstler*innen Jeanette Niebelschütz und Kim Konrad, die für fünf Wochen ihr kreatives Quartier im Kunstraum bezogen und zum Thema "Transit" arbeiteten.
Niebelschütz hat zwei große Steppdecken und 15 große Dachpappenformate mit Siebdruck gestaltet – Zahlen, Buchstaben, Worte – scheinbar nichts Festgefügtes, sondern Fragmentiertes – dekorieren diese rauhen Oberflächen. Stilisierte Bilder von Soldaten und kyrillische Schriftzeichen schlagen indes eine mentale Brücke in die jüngere Vergangenheit als sich die ostdeutsche Gesellschaft ebenfalls in einem Transitzustand befand.
Astrid Priebs-Tröger