wortlos & klangvoll
Körper, Material, Raum und Klang standen in zwei Inszenierungen des dritten Unidram-Abends im Zentrum. Und: Beim Tanztheater mit Livemusik – ZugZwang von Lauro – und dem Zirzensischen Spaziergang "OI+IO" von Müller & Müller kam man gänzlich ohne Worte ans Ziel.
Bei dem italienischen Geschwisterpaar Elisabetta und Gennaro Lauro bestand dieses (vermutlich) darin, ihr nahezu immer gleiches minimalistisches Tanzen, das die beiden lange nebeneinander aufführten und das sie nicht in Resonanz miteinander brachte, ganz allmählich aufzugeben und wie beim Schachspiel durch "Zugzwang" alles zu gewinnen oder auch zu verlieren.
In dieser sogartigen, sehr präzisen Studie spielte wahrscheinlich die Live-Musik von Amedeo Monda eine entscheidende Rolle, die die beiden Tänzer*innen körperlich und vor allem mental näher und schließlich zum Kontakt- und Synchrontanzen brachte. Ob dies ein Gewinn oder Verlust war, liegt (auch) im Auge des Betrachters.
Die beiden Namensvetter (Roman) Müller & (Jörg) Müller waren aus ganz anderem Holz geschnitzt. Diese beiden grau gekleideten Artisten, einer mit Glatze und einer mit Dutt, traten im Vorraum der Waschhaus-Arena vor ihr Publikum und luden es mit einer locker-lässig gemeinsam dargebrachten "Gebrauchsanweisung" dazu ein, ihre erste Gemeinschafts-Installation in der Arena zu betreten.
Schon im Foyer bekam man einen Appetizer und den Vorgeschmack auf das, was einen erwartete. Der frühere Diabolo-Virtuose Roman Müller brachte nacheinander einige von diesen in Rotation und setzte sie auf dem Hals einer E‑Gitarre ab, wo sie eine eigenwillige Tonspur erzeugten. Mitten in dieser Aktion fuhr plötzlich Jörg Müller bäuchlings auf einem Rollbrett liegend durchs Publikum und stieß sich immer wieder mit seinen Händen an den Knöcheln von Umstehenden ab.
Die Lust an Dekonstruktion und Anarchie – nicht nur der Umgangsformen – durchzieht die ganze großartig verspielte Show, die aus mehreren Stationen besteht, die sich in der leeren Arena wie ein Parcours verteilten und vor allem an gespannten Seilen am Boden und im Raum zu identifizieren waren.
Die hellen Diabolo-Schalen – diesmal halbiert – sind dort beispielsweise sehr sorgfältig zu einer Pyramide aufgeschichtet. Wie von Zauberhand fallen sie in sich zusammen und schließlich das ganze Werk vom Tisch. Augenblicklich fällt ein Besen vom Himmel, der aber nicht den ganzen Haufen fein säuberlich zusammenkehrt, sondern selbst Lust am Klang und an der eigenen Bewegung findet. Mal hört sich das an wie Flamenco-Klänge und dann mutiert das Ding zum rasenden Flugobjekt.
Die mehrfach zusammengesetzte Metallstange, die später in einem Fadenkreuz am Boden steht, wird hingegen von beiden Müllers bewegt und auch sie zerfällt allmählich in alte bzw. neue Einzelteile und erzeugt dann als daraus auferstandenes Mobilé einen ungemein hellen Klang.
Eine unbändige Lust am Spielen, Experimentieren und Dekonstruieren ist beiden Müllers deutlich anzumerken und man darf gespannt sein, was dieses Duo abseits vom modernen Nouveau-Cirque-Mainstream noch alles ausprobieren wird. Ihr "OI+IO"-Projekt machte jedenfalls Riesenspaß und hatte auch noch einen gewaltigen Nachklang – mit den beiden rotierenden Schlagzeug-Becken am Waschhaus-Arena-Fußboden.
Astrid Priebs-Tröger