Tanz in den Schatten
Aus dem tropischen Amerika stammt eine in Deutschland sehr beliebte, für manchen giftige Zimmerpflanze: die Monstera deliciosa. Ein dichter Vorhang aus vielen ihrer dunkelgrünen Riesenblätter hängt in der Inszenierung "La nuit, nos autres" der jungen katalanischen Choreografin Aina Alegre, die ihre Deutschlandpremiere bei den 31. Potsdamer Tanztagen feierte.
Mit diesem Vorhang ist ein besonderer Natur-(Erfahrungs-)Raum gekennzeichnet, in dem sich auf der fabrik-Bühne noch ein Felsen befindet und die ganze Zeit über leises Wasserrauschen zu hören ist. Ganz zu Beginn sitzen außerhalb dieses Raumes drei junge Menschen mit nacktem Oberkörper am Boden.
Alle drei sind blasse Stadtkinder, höchstwahrscheinlich mit der jugendlichen Sehnsucht nach besonderen (Grenz-)Erfahrungen, vorzugsweise in der Nacht. Vermutlich gehören auch pflanzliche Drogen zu ihrem Experiment, in dem sie sich, bevor es beginnt, und jede:r sich in den "Urwald" begibt, noch an den Händen halten und gemeinsam sanft einschwingen.
Doch dann muss jede:r von ihnen den ersten Schritt tun und sich in den bisher unbekannten Raum begeben. Die Bewegungen der Einzelnen werden größer und freier, erste Vogellaute werden imitiert. Und die Farbe Blau erscheint beinahe wie von selbst in einem Gesicht.
Ihre psychodelische Entfaltung steigert sich im Laufe der kommenden Stunde, aber kein orgiastischer Höhepunkt flammt auf, dafür viel Farbe auf ihren Körpern, bunte Federn im Gesicht, ein üppiger Pflanzenumhang für einen von ihnen. Es brandet zwischen ihnen keine sexuelle Energie auf, dafür fast opernartiger Koloraturgesang. Insgesamt bleibt alles sehr kultiviert und gesittet, keine Übergriffe – alles kann, nichts muss.
In dieses Natur- und Selbsterfahrungserlebnis bricht bei Aina Alegre auch immer wieder Kultur, in Form von Technomusik ein. Und es ist nicht klar, ob sich die Jugendlichen gerade im Club oder im Wald befinden. Beides überlagert sich, und es kann auch sein, dass es gar nicht drei junge Menschen sind, die sich da wie in Trance bewegen, sondern eine:r mit verschiedenen sich überlagernden Bildern/Schleifen im Kopf/Körper.
Zum Ende hin brechen sich dann akustisch auch rohe Naturgewalten Bahn, manchmal klingt es wie ein Gewitter, dann beinahe wie ein Erdbeben, doch eigentlich ist das die nächste Geschichte. Die drei faunischen Mischwesen jedenfalls haben sich den magischen Ort, der zuletzt wie ein Schlachtfeld aussieht, spielerisch experimentierend anverwandelt, halten bei gefühlt bebendem Boden immer noch die Balance, doch zur ruhigen Farbe Blau gesellt sich zuletzt bei einem von ihnen feuriges Rot.
Diese bildschöne Performance ist 2019 entstanden und hätte nach zwei Jahren Corona-Erfahrungen – auch gerade bei jungen Leuten – wahrscheinlich zum jetzigen Zeitpunkt eine sehr viel heftigere Dimension. Auch zwei andere Choreografinnen bei den diesjährigen Potsdamer Tanztagen – Lia Rodrigues und Daina Asbee – setzten sich mit kreatürlichen respektive animalischen Qualitäten des Menschseins (in Krisenzeiten) auseinander.
Doch bei den beiden wirkten sie wesentlich existenzieller und rauer, und in der direkten Konfrontation damit, war Alegres‘ Inszenierung ein zwar hochästhetisches, doch insgesamt harmloses Experiment. Zwar ein wichtiges in unserer modernen, von allem Mystischen und Magischem "befreiten" modernen Welt, wie auch der Ayahuasca-Tourismus von immer mehr Menschen aus Europa zeigt.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, [Hilfsprogramm DIS-TANZEN/ tanz:digital/ DIS-TANZ-START] des Dachverband Tanz Deutschland."