Wider die Endzeitstimmung
Unsere Welt ist aus den Fugen. Drei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem damit postulierten "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama) brechen immer stärkere multipolare Krisen über die Menschheit hinein und sie sollte sich um den Preis des eigenen Untergangs ernsthaft fragen, ob der Kapitalismus imstande ist, diese zu lösen.
"Feierlichkeiten zur Beerdigung des Kapitalismus" ist der einladend-provokante Arbeitstitel eines performativen Projektes, das die Künstler:innen Laura Heinecke, Gareth Clark und Carla Wierer Ende Januar im Rahmen von Made in Potsdam im fabrik-Café vorstellten.
Sie taten dies nicht mit einer herkömmlichen Präsentation, sondern luden Interessierte an zwei Abenden ins fabrik-Café ein, um in drei moderierten Arbeitsgruppen zu den Themen "Beerdigung/ Trauer/ Abschied", "Feste/Party/ Zusammensein" und "Kapitalismus" miteinander ins Gespräch zu kommen.
Die Tische waren mit Papier überzogen; Stifte zum Schreiben und Malen lagen bereit. Doch bevor die Runden starteten, setzten die drei Künstler:innen zur Einstimmung eine performative Etüde in den Raum: Choreografin Laura Heinecke tanzte, zwar keinen Totentanz, der walisische Schauspieler und Produzent Gareth Clark sprach einen eigenen Text zum Thema Trauer und Abschied und Schauspielerin und Musikerin Carla Wierer begleitete beide auf ihrer mit den Fingern gezupften Geige.
Antony and the Johnsons berühmter Song "Hope there´s someone" bildete den Ausgangspunkt von Clarks Überlegungen, die zudem den Tod von Queen Elisabeth II. thematisierten und den eigenen schmerzhaften Verlust von Freunden in den vergangenen Jahren der Pandemie.
Es war erstaunlich, wie schnell man bei den Tischrunden mit Menschen, die man nicht persönlich kannte, über eigene Verlust- und Trauererfahrungen ins Gespräch kam. Wie beglückend es war, anderen dabei zuzuhören, was und wie sie am liebsten feiern.
Und wie sehr das, was wir "Kapitalismus" nennen, unser aller Leben durchdringt und nicht nur im Angesicht von Pandemien, dem gegenwärtigen Ukraine-Krieg und der Klimakrise ein gutes Leben für alle immer schwieriger respektive unmöglicher macht. Höchste Zeit, diese Gesellschaftsform also zu verabschieden und tatkräftig an der Entwicklung/ Herausbildung von anderen gesellschaftlichen Alternativen zu arbeiten.
Da sich Heinecke, Clark und Wierer noch ganz am Anfang ihrer künstlerischen Zusammenarbeit befinden, war noch nicht bis ins Letzte auszumachen, wohin ihre gemeinsame künstlerische Reise geht und was bis zum Jahresende 2023 daraus entstanden sein wird.
In ihrer Konzeption schreiben sie, dass es ihnen darum geht, gemeinsam mit dem Publikum den Tod, die Beerdigung des "Kapitalismus" als Auftakt für eine andere Zukunft zu feiern. Inklusive Begräbnisprozession, Grablegung und Leichenschmaus, bei dem in Gesprächen Alternativen erörtert und (soziale) Neuanfänge stattfinden könnten.
Sie sagten, dass ihnen die Beteiligung des Publikums an diesem Prozess wichtig sei, und dass sie weitere kollaborative Workshops und performative Beteiligungselemente planen. Die kraftvolle Energie, die im fabrik-Café im Raum war, sich am zu Grabe tragen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse zu beteiligen, war jedenfalls fürs Erste äußerst ansteckend und vielversprechend.
Und wenn schon keine Revolutionen in Sicht sind, besteht doch die Hoffnung, frei nach Karl Marx, dass auch solche Ideen die Massen ergreifen und neue Entwicklungen anstoßen könnten.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, Hilfsprogramm DIS-TANZEN des Dachverband Tanz Deutschland."