Schlaflos am Weltenende

Das war ein Abend, an dem man nach­ein­an­der in ein fens­ter­lo­ses Schlaf­zim­mer, einen inter­stel­la­ren Raum und ein Smart Home ent­führt wur­de. Die­se Orte wur­den am zwei­ten Fes­ti­val­tag kre­iert und die Akteu­re aus Deutsch­land, Tsche­chi­en und Frank­reich boten ihre Kunst dort als Hör­spiel­in­stal­la­ti­on für eine Per­son, Tanz­thea­ter mit Live­mu­sik oder als absur­des Objekt­thea­ter dar.

Die­ses immer wie­der pri­ckeln­de Gefühl, Abend für Abend eine Wun­der­tü­te zu öff­nen, gibt es so nur bei Uni­dram und man ist jedes Mal ver­blüfft, wie das alles am Ende doch irgend­wie zusam­men­passt oder sogar mit­ein­an­der interagiert.

Die "Himm­li­sche Odys­see" vom Pra­ger Duo Milt­nero­vá und Komá­rek beginnt mit fla­ckern­den Neon­röh­ren, viel Nebel, vier Leucht­punk­ten in der Dun­kel­heit und einem äußerst mobi­len Cem­ba­lo. Dar­an sitzt Moni­ka Knob­loch­o­vá im Glit­zer­kleid und spielt vir­tu­os Stü­cke von Jean-Bap­tis­te Lul­ly, Jean-Hen­ri d'Anglebert, Johann Sebas­ti­an Bach bis hin zu Györg Ligety.

Himm­li­sche Odys­see; ©Pablo-Korn­feld

Zur gran­dio­sen baro­cken und moder­nen Musik ent­wi­ckelt sich aus immer wie­der dunk­len Räu­men ein Tanz­thea­ter, das so gegen­sätz­li­che Ele­men­te – wie klas­si­sches Bal­lett und mecha­ni­sche Bewe­gun­gen – mit­ein­an­der ver­schmilzt und wie aus einer Sci­ence-Fic­tion-Welt daherkommt.

Die bei­den andro­iden­haf­ten Tänzer:innen, die mit ihren wei­ßen Mas­ken janus­köp­fig schrei­ten oder wech­sel­wei­se schwe­ben, schla­gen so den Bogen in die nächs­te Inszenierung.

In "Ersatz" vom fran­zö­si­schen Coll­ec­tif AIE AIE AIE sitzt in sei­nem smar­ten Home ein huma­no­ider Freak und arbei­tet eif­rig an der Ver­bes­se­rung der Spe­zi­es Mensch. Juli­en Mel­lano, der hier sowohl spielt, als auch das Büh­nen­bild gestal­tet und die Regie inne hat, hat die Ver­schmel­zung mit jeg­li­cher zur Ver­fü­gung ste­hen­den Tech­nik an sich selbst schon vollzogen.

AIE AIE AIE, ERSATZ, ©Lau­rent Guizard

Jeder Lid­schlag erzeugt ein Geräusch, sei­ne Kno­chen­be­we­gun­gen wer­den akus­tisch ver­stärkt genau­so wie fast alles, was sich in sei­nem (noch) orga­ni­schem Inne­ren abspielt. Vor allem, wenn dies ehe­mals natür­li­che Wesen sich alles, was ihm in die Hän­de kommt, ein­ver­lei­ben und ver­dau­en muss.

Hin­ter die­ser slap­stick­ar­ti­gen One-Man-Show lau­ert jedoch das blan­ke Grau­en. Denn sie fin­det poin­tiert-komi­sche Bil­der für die trans­hu­ma­nis­ti­sche "Ver­voll­komm­nung" des Men­schen, der­je­ni­gen Spe­zi­es, die durch die fort­schrei­ten­de Tech­ni­sie­rung auf dem bes­ten Wege ist, sich selbst auszulöschen. 

Da hilft es auch nicht, wenn am Ende ein Affe die Sache in die Hand nimmt und die kläg­li­chen Res­te sei­nes frü­he­ren Ver­wand­ten aus­ge­rech­net in einem Buch archi­viert. Die­ses gran­dio­se Objekt­thea­ter, das bereits 2018 ent­stand und lei­der nur ein­mal zu sehen ist, war eine ech­te Ent­de­ckung mit gro­ßem phi­lo­so­phi­schem Tief­gang. Und trotz allem erzeug­te aus­ge­rech­net sie kei­ne Schlaf­lo­sig­keit, son­dern ein Lachen, das einem jedoch prompt im Hal­se steckenblieb.

PRAGMATA, Gute Nacht, © Vol­ker Metzler

Schlaf­lo­sig­keit ist das moder­ne um sich grei­fen­de Phä­no­men, mit dem man in der drit­ten Insze­nie­rung des Abends kon­fron­tiert wur­de. Alpha Kart­sa­ki und Sebas­ti­an Schlem­min­ger von Prag­ma­ta luden für zwan­zig Minu­ten zu einer Hör­spiel­in­stal­la­ti­on ein, in der man auf raf­fi­nier­te mecha­ni­sche und klang­akus­ti­sche Wei­se selbst wun­der­bar schlaf­los blieb. Wis­pern­de Kis­sen, tan­zen­de Tablet­ten und irr­lich­tern­de Nacht­tisch­lam­pen sind bei Uni­dram und Prag­ma­ta selbst­ver­ständ­lich inklusive.

Astrid Priebs-Trö­ger

13. Oktober 2022 von Textur-Buero
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