Spiel mit Perspektivwechseln
Wer in den Winterzirkus des t‑Werk geht, sollte immer auf Überraschungen gefasst sein. "My body is your body" der Kölner Company Overhead Project ist eine solche.
Versprochen wird ein Spiel mit Körpern und Blicken, Sichtachsen und Symmetrien, das der Zuschauerschaft neue Bedeutung verleiht.
Vorab wird das Publikum dafür auf zwei gegenüberliegenden Podien platziert und die drei Performer:innen Mijin Kim, Maiol Pruna Soler und Francesco Germini wirken in ihren schicken lila, fliederfarbigen und blauen Maßanzügen fast wie Models oder Conférenciers.
Doch die Südkoreanerin ist Tänzerin, der Spanier und der Italiener sind Akrobaten und beide arbeiten als Hand-zu-Hand-Duo nicht zum ersten Mal in der Overhead Company, die modernen Tanz und zeitgenössischen Zirkus kongenial miteinander verbindet.
Nicht nur anfangs nehmen die drei, die trotz Anzug barfuß sind, immer wieder Blickkontakt zum Publikum auf. Dafür laufen sie in der entstandenen Arena ganz nah an den Zuschauer: innen vorbei, bleiben manchmal kurz stehen und fixieren ihr Gegenüber, um sich dann rückwärts von ihm weg zu biegen und die Gegenseite anzusehen.
Das tut man auch selbst immer wieder in diesem 45-minütigen kraftvollen Spiel, das von zahlreichen Perspektivwechseln lebt. Da ist zum einen dieses ständige gegenseitige Beobachten von Akteur:innen und Publikum. Aber zum anderen ist man durch die Gegenübersetzung des Publikums geneigt, die jeweils anderen in den Blick zu nehmen.
Warum steht z. B. die eine Frau auf der anderen Seite immer wieder auf? Ist dies verabredet oder sieht sie einfach nicht genug? Die Vogelperspektive nehmen hingegen mehrfach die grandiosen Partnerakrobaten ein, wenn sie zwei- oder auch dreifach übereinanderstehen und aus dieser Perspektive den Raum und alles, was darin ist, in den Blick nehmen. Aber auch das Gegenstück, den Handstand, haben sie im Programm.
Das allerdings keine Nummernfolge wie im traditionellen Zirkus ist – und auch nicht bei technischen Highlights beklatscht werden will – sondern eine präzise Choreografie vom Choreografen und Artisten Tim Behren, der in dieser multiperspektivischen Performance u. a. auch mit Geschlechterrollen spielt.
Denn irgendwann – als alle drei mit nacktem Oberkörper performen – ist es die sehr präsente Tänzerin, die das eingespielte Akrobatenduo nahezu unbemerkt auflöst. Mijin Kim agiert dabei sowohl als kräftige Ringerin als auch als stabile Unterfrau in der Partnerakrobatik.
Am beeindruckendsten ist neben der unmittelbaren Nähe des Geschehens – manchmal ist man nur wenige Zentimeter von den hart arbeitenden Künstler:innen entfernt – vor allem die metaphorische Bedeutung, die dieses 2018 entstandene Werk hat.
Es gibt unendlich viele Perspektiven/Möglichkeiten, einen Prozess/ein Geschehen anzusehen und zu beurteilen. Und es kommt darauf an, bei dessen Bewertung möglichst viele/unterschiedliche davon einzubeziehen. Eine kostbare Erfahrung gerade in diesen gesellschaftlichen Umbruchszeiten, in denen wir momentan leben.
Astrid Priebs-Tröger