Staub, Konflikte und Wir
Es ist nur konsequent, dass sich das Künstlerkollektiv KOMBINAT, nachdem es sich im Lockdown mit den leeren Theaterräumen beschäftigt hat, jetzt damit auseinandersetzt, was Theater eigentlich ausmacht.
In ihrer neuen Produktion "Kurzschluss" kombinieren Paula E. Paul und Sirko Knüpfer nicht wie gewohnt Tanz und Film, sondern versetzen uns und ihre sechs Akteure aus der freien Szene in eine wahrscheinlich nicht allzu ferne, längst von künstlicher Intelligenz (KI) beherrschte Zukunft.
Und die KI, die alle Fäden in der Hand hat, versucht mithilfe der verbliebenen Spieler: innen zu rekonstruieren, was diese "Bretter, die die Welt bedeuten" eigentlich ausmacht(e) und was die Zuschauer:innen bewegt(e), Abend für Abend still und bewegungslos als "Sitzgruppe" im Dunkel zu verharren – selbst in Unterspannung – und die (Über-)Spannung von der Bühne entgegen zu nehmen beziehungsweise auszugleichen.
Dieses choreografische Kammerspiel ist für KOMBINAT ungewöhnlich wortreich, gleichzeitig lakonisch sowie ziemlich komisch. Es beginnt mit dem Räsonieren über allgegenwärtigen Staub und endet mit Goethes "Verweile doch, Du bist so schön". Und dazwischen entsteht das, was wir Theater nennen?
Ja und nein. Denn die pointierte Erwähnung/ Benennung der Ingredienzien, die Theater ausmach(t)en, erzeugt noch kein selbiges, und obwohl man immer sehnsüchtig auf den nächsten Bissen wartet, bleibt man am Ende doch hungrig, ich jedenfalls.
Das hängt auch mit den sehr verschiedenen Erwartungen zusammen, die jede:r hegt, wenn er/sie ins Theater geht. Ablenkung versus Aufklärung, Verhandlung gesellschaftlich relevanter Fragen oder Hinwendung zu (reiner) Schönheit und Poesie, Drama oder Komödie, Spannung oder Philosophisches und so weiter und so fort. Wobei Letzteres durchaus spannend sein kann.
"Ohne uns wird´s still" haben Theaterschaffende in der Corona-Krise, als ihre Theater vom Lockdown betroffen waren, immer wieder postuliert. In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurde es, genau genommen, alles andere als still.
Aktuell tobt sich ein gewaltiges Sprech-Theater u. a. in den sogenannten Sozialen Medien und Talk Shows aus, und Menschen, die die herrschenden gesellschaftlichen Zustände nicht mehr ertragen (wollen), gehen auf die Straßen. Auch das/dort ist eine Bühne.
Und wie verhalten sich die Theater-Bühnen und die Zuschauer:innen? Letztere bleiben bis heute in relevanten Größenordnungen weg, und nicht wenige Theater experimentieren eifrig wie schon lange nicht mehr, fragen danach, was ihr angestammtes bzw. ein anderes als ihr bürgerliches Publikum bewegen könnte, sich in geschlossene Räume, hinter dicke Mauern zu begeben und Gedankenexperimenten anderer beizuwohnen.
Geschichten erzählen und Fantasie – blieben als Begriffe aus dem wie ein übersprudelnder Essay wirkenden "Kurzschluss" bei mir haften. Und wahrscheinlich ist es genau das, was mich und andere noch lange ins Theater treibt. In einen öffentlichen Raum, der sich hoffentlich (wieder) weitet und (auch) das Nachdenken über andere Gesellschaftsentwürfe als die gegenwärtigen zulässt oder sogar anstößt.
Grundsätzliche Überlegungen in Richtung GELD und MACHT und "Wer ist eigentlich dieses WIR?" waren jedenfalls in "Kurzschluss" nicht zu überhören.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, [Hilfsprogramm DIS-TANZEN/ tanz:digital/ DIS-TANZ-START] des Dachverband Tanz Deutschland."