Worte ins Dunkel sprechen
Schade, dass man immer noch nicht im Foyer des T‑Werkes warten konnte. Denn anstatt bei der Langen Nacht der freien Theater endlich wieder Bekannten grüßend zuzunicken, kurz mit Freunden zu plaudern oder vorher noch etwas an der Bar zu trinken, saß ich allein vor dem heimischen Bildschirm.
Denn nach fast 15 Monaten Pandemie hatten sich die T‑Werker kurzfristig doch entschlossen, das 15. Festival der Freien Theater des Landes Brandenburg nicht zu verschieben sondern zu streamen. Was für das für das Team um Jens-Uwe Sprengel eine Premiere war.
Und eine überaus vollgepackte dazu. Ein Kraftakt, der aus Publikumssicht technisch reibungslos verlief. Fast 50 Künstler*innen aus 13 Freien Theatern des Landes Brandenburg zeigten hintereinander auf vier Bühnen Ausschnitte ihres aktuellen Repertoires – dazu gab es in fast fünf Stunden pausenloser Live-Übertragung auch noch ein halbes Dutzend Gesprächsrunden u. a. mit Kulturministerin Manja Schüle, Vertreter*innen der freien Theaterszene, Juroren und Kultur-Politiker*innen. Viele, viele Worte also.
Und alle Redner*innen betonten die besondere Rolle des (freien) Theaters in dieser kulturlosen Zeit und insistierten auf Perspektiven für das Danach. Bei der Ministerin rannten sie damit offene Türen ein, denn die kulturpolitische Unterstützung während der Pandemie ist in Brandenburg nahezu mustergültig. Und die Künstler*innen, die hier auftraten, zeigten, dass dies gut angelegtes Geld ist.
Zu sehen war eine große Bandbreite der Darstellenden Kunst: Moderner Tanz, Puppen- und Objekttheater, Sprechtheater, Performances, Film + Choreografie und mehrere Open-Air-Aufführungen – vorwiegend für Erwachsene. Serviert wurden leider nur Kosthappen – jede der gestreamten Aufführungen war höchstens zwanzig Minuten lang, sodass von den meisten nur ein flüchtiger Nachgeschmack blieb.
Nach diesem ersten Eindruck sind meine Favoriten: Die "Kunstpause" vom Künstlerkollektiv KOMBINAT, die Autoteile-Performance von Maren Strack, die Migrations-Tanzperformance von Golde G., das ZEIT-Objekt- und Figurentheater der Flunker-Produktionen sowie die "Reise zum Mond" vom Theater des Lachens. Letzteres entwickelte auch am Bildschirm den stärksten Theaterzauber für mich.
Dramaturgisch geschickt war es, fast an den Anfang einen Schauspieler-Monolog vom theater.land zu setzen. "Event" von John Clancy bringt auf den Punkt, was Theater ist und was es kann. Die Zusammenfassung, "Worte zu Fremden ins Dunkel sprechen" wird zwar der großen Vielfalt der Genre und Formen nicht wirklich gerecht, beschreibt aber den Grundvorgang und die –vereinbarungen.
Und machte noch einmal schmerzlich bewusst, dass es eben doch einen gewaltigen Unterschied macht, gemeinsam mit Fremden im Saal oder allein am Rechner zu sitzen. Auch Fluktuationen oder Zuwächse bei analogen und digitalen Veranstaltungen unterscheiden sich gewaltig. Zu Hochzeiten der Langen Nacht waren über 200 Leute online. Doch Zuschauerreaktionen sind eben nicht in Echtzeit zu spüren, sondern werden vereinzelt in den Chat geschrieben: "Tolle Kulisse, Darstellung, Beleuchtung" – und applaudierende Händchen daneben.
Nichts ist besser als gar nichts – das habe ich mir in dieser kulturlosen Zeit zu denken angewöhnt, doch auf Dauer hilft (mir) das nicht. Ein pulsierender Gegenwartsbezug war in dem Lese-Auftritt vom "Poetenpack" zu spüren, das u. a. Alexander Herzens "Über die Verfinsterung der Geschichte" in sein Repertoire in der Zimmerbühne aufgenommen hat und sobald es möglich ist, auch mit Zuschauer*innen darüber ins Gespräch kommen will. Eine sehr gute Idee in einer Zeit, in der Menschen vorrangig in den sogenannten Sozialen Medien zunehmend den öffentlichen Diskurs bestimmen und immer wieder holzschnittartig verengen.
Ein weiterer Trend zeichnet sich für mich auch schon seit dem vergangenen Sommer ab: es gibt nur wenige Künstler*innen, die sich mit der krisenhaften Gegenwart und beispielsweise ihren mentalen Verwerfungen auseinandersetzen – stattdessen scheinen viele ihre Rolle eher darin zu sehen, ihre Zuschauer*innen aus dem schwierigen Alltag in magische, komische oder skurrile Fantasiewelten zu entführen.
Das ist unbestritten auch eine Aufgabe von Theater, doch während des Transits und der folgenden Auflösung der DDR-Gesellschaft waren für mich gerade Theater jene Orte, die die Dinge verhandelten, die sonst nicht öffentlich besprochen wurden oder die im Austausch mit ihrem ebenfalls suchenden Publikum zumindest die Sehnsucht nach einer Utopie wachhielten.
Hoffen wir also gemeinsam auf den bevorstehenden Sommer, weiter sinkende Inzidenzwerte und die Möglichkeit der wirklichen Begegnung zumindest in einer weiteren Open-Air-Saison, die in Brandenburg dann hoffentlich nicht nur den Geimpften offensteht.
Und hoffen wir, wie es der 66-jährige theater 89-Regisseur Hans Joachim Frank im Gespräch mit David Schellenschmidt (Jahrgang 1989) sagte, dass der Großteil der Freien Theater in Bewegung bleibt – und eben nicht in (allzu) festen Strukturen, die auch immer Abhängigkeiten bedeuten, erstarrt.
Astrid Priebs-Tröger