Härte, Nähe, Zärtlichkeit
Matten, Turnbänke, Kastenteile und Sprungböcke sind im Halbkreis angeordnet und dienen als Sitzgelegenheiten. Denn Yotam Peleds Pop Up-Performance "Where the boys are" findet in einer Turnhalle statt. Also genau dort, wo sich viele Jungen und Männer oft und gern aufhalten.
"Where the boys are" entstand im Rahmen eines explore dance Projektes der fabrik Potsdam und der Voltaire-Gesamtschule. Elftklässler:innen aus einem Kurs Darstellendes Spiel haben dessen Entstehungsprozess monatelang begleitet und sind jetzt am Donnerstagvormittag gemeinsam mit 80 anderen Voltaire-Schüler:innen die Premierengäste.
In der rohen Atmosphäre der Turnhalle beginnt der quirlige Choreograf mit einem Warm up für die anwesenden Schüler:innen, in dem es vor allem um Begegnen, Atmen und Vertrauen geht. Am Schluss sitzen die meisten von ihnen mit geschlossenen Augen und ziemlich geerdet da.
Auch Nicolas Knipping, der deutsche Kampfkünstler und Ringer sitzt in dieser Position auf der Spielfläche, während sein Kontrahent in "Where the boys are", der litauische Akrobat und Boxer Andrius Nekrasovas, noch neben ihm nervös umhertänzelt.
Beide jungen Männer strotzen nur so vor Energie, sie sind durchtrainiert und entsprechen damit auf den ersten Blick genau dem Bild von Männlichkeit, das auch gegenwärtig (noch) vorherrscht: Männer sind stark, hart, kämpferisch und müssen ständig ihre Kräfte messen. Zurzeit auch wieder verstärkt in kriegerischen Auseinandersetzungen.
Doch im Verlauf dieser knapp einstündigen Performance des israelischen Choreografen, Tänzers und Artisten Yotam Peled geraten diese Geschlechter-Stereotype wie auch die Genregrenzen zwischen Kampfkunst und Tanz zuerst ins Fließen und dann immer mehr ins Wanken.
Denn aus dem anfänglichen Nebeneinander der beiden Kämpfer entsteht nahezu spielerisch eine Bodypercussions-Nummer, bei der sich ihre polaren Energien (der ruhige Ringer – der nervöse Boxer) annähern und sich beide im gleichen Takt bewegen und mit ihren Armen laut auf die eigenen Körper trommeln.
Im weiteren Verlauf der hochkonzentrierten Performance geht es immer wieder um Nähe und Distanz, und aus dem Kräftemessen, das hier immer auf Augenhöhe stattfindet, entstehen aus den abgezirkelten Kampf(kunst-)bewegungen, die beide beherrschen, immer stärker fließende fast tänzerische Akzente, die gefühlt in einem Pas des deux gipfeln, der zwischen beiden Jungen sehr viel Nähe zulässt.
Und somit auch Kämpfen und Tanzen miteinander verbindet. Denn auch beim Kämpfen gibt es "Umarmungen", beispielsweise wenn die Kämpfer erschöpft sind und kurz innehalten müssen. Hier werden Vertrauen, Nähe, ja fast Zärtlichkeit sichtbar, die die harten ("männlichen") Energien des Kämpfens wunderbar ("weiblich") ausgleichen.
Es ist Yotam Peled, der sich selbst als queer bezeichnet, ein Herzensanliegen, genau solche Energieflüsse und – umwandlungen sichtbar zu machen. Und damit die vorgegebenen binären Geschlechterstereotype für jede:n spielerisch und sehr sinnlich erfahrbar aufzubrechen.
Ein neues und spannendes Kapitel beginnt, als sich beide Männer auf die tänzerische Methode der Kontaktimprovisation einlassen und ganz am Ende zu einer Kugel verknäult – und so an den platonischen Mythos des Kugelmenschen erinnernd – auf dem Boden zum Liegen kommen. Und damit für einige sehr berührende Momente aus der unnatürlichen und kulturell-bedingten Dualität (die Auf- und Abspaltung bedeutet) entkommen können.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, Hilfsprogramm DIS-TANZEN des Dachverband Tanz Deutschland."