Härte, Nähe, Zärtlichkeit

Mat­ten, Turn­bän­ke, Kas­ten­tei­le und Sprung­bö­cke sind im Halb­kreis ange­ord­net und die­nen als Sitz­ge­le­gen­hei­ten. Denn Yotam Peleds Pop Up-Per­for­mance "Whe­re the boys are" fin­det in einer Turn­hal­le statt. Also genau dort, wo sich vie­le Jun­gen und Män­ner oft und gern aufhalten.

"Whe­re the boys are" ent­stand im Rah­men eines explo­re dance Pro­jek­tes der fabrik Pots­dam und der Vol­taire-Gesamt­schu­le. Elftklässler:innen aus einem Kurs Dar­stel­len­des Spiel haben des­sen Ent­ste­hungs­pro­zess mona­te­lang beglei­tet und sind jetzt am Don­ners­tag­vor­mit­tag gemein­sam mit 80 ande­ren Voltaire-Schüler:innen die Premierengäste.

Pop Up-Per­for­mance "Whe­re the boys are", Vol­taire­ge­samt­schu­le, Foto: Jonas Zeidler

In der rohen Atmo­sphä­re der Turn­hal­le beginnt der quir­li­ge Cho­reo­graf mit einem Warm up für die anwe­sen­den Schüler:innen, in dem es vor allem um Begeg­nen, Atmen und Ver­trau­en geht. Am Schluss sit­zen die meis­ten von ihnen mit geschlos­se­nen Augen und ziem­lich geer­det da.

Auch Nico­las Knip­ping, der deut­sche Kampf­künst­ler und Rin­ger sitzt in die­ser Posi­ti­on auf der Spiel­flä­che, wäh­rend sein Kon­tra­hent in "Whe­re the boys are", der litaui­sche Akro­bat und Boxer Andri­us Nekra­so­vas, noch neben ihm ner­vös umhertänzelt.

Pop Up-Per­for­mance "Whe­re the boys are", Vol­taire­ge­samt­schu­le, Foto: Jonas Zeidler

Bei­de jun­gen Män­ner strot­zen nur so vor Ener­gie, sie sind durch­trai­niert und ent­spre­chen damit auf den ers­ten Blick genau dem Bild von Männ­lich­keit, das auch gegen­wär­tig (noch) vor­herrscht: Män­ner sind stark, hart, kämp­fe­risch und müs­sen stän­dig ihre Kräf­te mes­sen. Zur­zeit auch wie­der ver­stärkt in krie­ge­ri­schen Auseinandersetzungen.

Doch im Ver­lauf die­ser knapp ein­stün­di­gen Per­for­mance des israe­li­schen Cho­reo­gra­fen, Tän­zers und Artis­ten Yotam Peled gera­ten die­se Geschlech­ter-Ste­reo­ty­pe wie auch die Gen­re­gren­zen zwi­schen Kampf­kunst und Tanz zuerst ins Flie­ßen und dann immer mehr ins Wanken.

Pop Up-Per­for­mance "Whe­re the boys are", Vol­taire­ge­samt­schu­le, Foto: Jonas Zeidler

Denn aus dem anfäng­li­chen Neben­ein­an­der der bei­den Kämp­fer ent­steht nahe­zu spie­le­risch eine Body­per­cus­sions-Num­mer, bei der sich ihre pola­ren Ener­gien (der ruhi­ge Rin­ger – der ner­vö­se Boxer) annä­hern und sich bei­de im glei­chen Takt bewe­gen und mit ihren Armen laut auf die eige­nen Kör­per trommeln.

Im wei­te­ren Ver­lauf der hoch­kon­zen­trier­ten Per­for­mance geht es immer wie­der um Nähe und Distanz, und aus dem Kräf­te­mes­sen, das hier immer auf Augen­hö­he statt­fin­det, ent­ste­hen aus den abge­zir­kel­ten Kampf(kunst-)bewegungen, die bei­de beherr­schen, immer stär­ker flie­ßen­de fast tän­ze­ri­sche Akzen­te, die gefühlt in einem Pas des deux gip­feln, der zwi­schen bei­den Jun­gen sehr viel Nähe zulässt.

Und somit auch Kämp­fen und Tan­zen mit­ein­an­der ver­bin­det. Denn auch beim Kämp­fen gibt es "Umar­mun­gen", bei­spiels­wei­se wenn die Kämp­fer erschöpft sind und kurz inne­hal­ten müs­sen. Hier wer­den Ver­trau­en, Nähe, ja fast Zärt­lich­keit sicht­bar, die die har­ten ("männ­li­chen") Ener­gien des Kämp­fens wun­der­bar ("weib­lich") ausgleichen.

Es ist Yotam Peled, der sich selbst als que­er bezeich­net, ein Her­zens­an­lie­gen, genau sol­che Ener­gie­flüs­se und – umwand­lun­gen sicht­bar zu machen. Und damit die vor­ge­ge­be­nen binä­ren Geschlech­ter­ste­reo­ty­pe für jede:n  spie­le­risch und sehr sinn­lich erfahr­bar aufzubrechen.

Ein neu­es und span­nen­des Kapi­tel beginnt, als sich bei­de Män­ner auf die tän­ze­ri­sche Metho­de der Kon­takt­im­pro­vi­sa­ti­on ein­las­sen und ganz am Ende zu einer Kugel ver­knäult  – und so an den pla­to­ni­schen Mythos des Kugel­men­schen erin­nernd – auf dem Boden zum Lie­gen kom­men. Und damit für eini­ge sehr berüh­ren­de Momen­te aus der unna­tür­li­chen und kul­tu­rell-beding­ten Dua­li­tät (die Auf- und Abspal­tung bedeu­tet) ent­kom­men können.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die Arbeit an die­sem Arti­kel wur­de "geför­dert durch die Beauf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medi­en im Pro­gramm NEUSTART KULTUR, Hilfs­pro­gramm DIS-TANZEN des Dach­ver­band Tanz Deutsch­land."

23. März 2023 von Textur-Buero
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